Der Himmelsvogel fliegt weiter...

Der Himmelsvogel fliegt weiter...

Special Review vom 03. Mai 2018

WOZ Nr. 18/2018 vom 03.05.2018
CLAUDIUS SCHOLER ALIAS SKY BIRD (1965–2018)


Der Himmelsvogel fliegt weiter...

Immer pünktlich auf dem Höhepunkt löste Claudius Scholer seine Bands jeweils auf. So ging Sky Bird fast vergessen, obwohl er zu den herausragenden Rockmusikern der Schweiz zählte. Eine persönliche Erinnerung.

Von Veit F. Stauffer

Claudius Scholer hatte eine verschwenderische Fülle an Gaben und Talenten: Er konnte seine ZuhörerInnen in den Bann ziehen, höchsten Respekt bei MusikerkollegInnen hervorrufen, aber auch die eigenen Leute mit Absatztricks überraschen. Auf dem Höhepunkt des Erfolgs löste er als Sky Bird seine Begleitband The Fish of Hope auf. Heimlich arbeitete er zwei Jahre an seinem dritten Album «Das Schaf», das er 1993 im für Popmusiker metaphorischen Alter von 27 Jahren veröffentlichte. Danach gelang ihm der Absprung in die Realpolitik: Ausbildung zum Sozialarbeiter und Arbeit mit Jugendlichen im Zürcher Seefeld. Später war er langjähriger Delegierter für das Schweizerische Rote Kreuz, zuletzt in Kigali in Ruanda, wohin Scholer seine Familie mitgenommen hatte.

Die Energien des Punk

Dieser Nachruf wäre eine nostalgische Angelegenheit, gäbe es nicht das kostbare Comebackalbum «The Kimihurura Tapes». 2013 führte Skybird Senior, wie sich Scholer jetzt nannte, sein neues Material mit einer hervorragend bestückten Ad-hoc-Band in Zürich auf. Unvergesslich dabei Fotograf Tobias Madörin, früher Bassist bei The Fish of Hope, dem nach dem Konzert wutentbrannt die ganzen Erinnerungen hochstiegen. Es war als Kompliment gedacht: Warum verschwendete dieser Bursche dermassen sein musikalisches Talent? Bezeichnend auch: Vom Zürcher Theaterspektakel lag eine Einladung für die grosse Bühne bereit. Skybird Senior hatte dafür neben seinem hart fordernden Beruf schlicht zu wenig Spielraum.

Begonnen hatte Scholers musikalische Laufbahn 1984 mit den Baboons. Auf Konzertausflügen bis nach Deutschland entwickelten er und sein Umfeld eine Chuzpe und Professionalität, die ihn zu Soloarbeiten zu Hause am Vierspurrecorder beflügelten. Besonders Gitarrist Baschi Baumgartner (alias Fidel Peugeot) unterstützte ihn dabei. Die kulturell aufgeheizte Atmosphäre der achtziger Jahre liess sie nach Querverbindungen und essenziellen Einflüssen suchen. Das einzige Album der Baboons mit der charismatischen Sängerin Astrid Wirminghaus erschien «rechtzeitig» zur Auflösung im Februar 1988, eine wilde Mischung aus Westcoast-Psychedelic-Rock und den Energien des Punk.

Claudius wandelte sich vom Affen (Baboons) zum einsamen Himmelsvogel (Sky Bird). Der Name seiner stilsicher zusammengestellten Begleitband The Fish of Hope war nach dem Vergiften des Rheins in Basel im November 1986 ein klares politisches Statement gegen die Chemiefabrik. Das Soloalbum von Sky Bird durchzieht ein Klima der Frühreife und eine verspielte Kreativität. «Nightmare 701» war sozusagen eine Country-’n’-Brubeck-Spielerei mit der Eröffnungszeile im Stil eines gestandenen Rappers: «Bob Dylan calls my name, I got a bullet in my brain.» Das sechsminütige «Blind Prostitutes Eating» mündete als monotones Rock-’n’-Roll-Mantra in eine faszinierende Geräuschcollage wie bei den Krautrockern von Faust. Über allem schwebte der theatralische oder philosophische Geist von Jacques Brel, Leonard Cohen oder Tom Waits: Sky Bird sang mit brechtscher Inbrunst und zu gewieftem Banjo, ausgerüstet mit Megafon und Cowboystiefeln – und mit einem genial gerollten R in der Aussprache.

Die KritikerInnen waren sich einig: Stephan Eicher («Les filles du Limmatquai») musste sich zukünftig warm anziehen. Die Frauenfiguren bei Scholer waren emanzipierter und gefährlicher: etwa in «Janine aime les terroristes», eine Hommage an die Memoiren von Bommi Baumann, oder «Babette»: Eine ganze Mädchenschar verschwindet im Urwald, macht mit verschiedenen Tieren Liebe und kehrt nicht mehr zurück. Die Performance von Sky Bird hatte immer auch ein selbstbewusstes Element. Er wusste um seine Ausstrahlung auf Frauen wie Männer, blieb aber im Umgang trotzdem charmant und bescheiden.

Sky Bird war mit Abstand das jüngste Mitglied des 1987 begründeten Rec-Rec-Sublabels Boy, das dem Gesang gewidmet war, mit einem Hang zum Akkordeon. Auf seinen drei Alben spielte er denn auch selbst mit dem Handorgelspieler Luzian Jenny zusammen. Auf dem Boy-Label fanden fruchtbare Synergien zwischen den Städten Zürich und Basel statt, bald erschienen auch Alben der Frauenband Les Reines Prochaines sowie von Elephant Château, die kürzlich international von einer jüngeren Generation wiederentdeckt wurden.

Ein Solo für Pasolini

Durch das Umfeld von Sky Bird wurde ich mit wichtigen Klassikern bekannt gemacht: Vladimir Vissotsky sowie den Silver Apples. Der schönste Moment kam, als ich im Herbst 1988 die Sky-Bird-Platte wendete. Das erste Stück der B-Seite hiess «Scorching a Bird», und mit dem Akkordeon klang es wie eine irische Ballade aus alten Tagen. Oder das neckische «Your Blue Skirt» im Polkarhythmus, eine Vorwegnahme von Stiller Has und Attwenger. Bemerkenswert auch das von Harmonium und Gitarrensolo begleitete, neunzig Sekunden kurze «Pasolini’s Trembling», in dem Claudius Drogenerfahrungen des italienischen Regisseurs verarbeitete: «There is no real reason why I tremble that much, said Pier Paolo Pasolini.» Sky Bird hat die Komposition 1993 nochmals aufgenommen, nachdem sie sich an Konzerten zur zehnminütigen Zugabe entwickelte und klang, als würde Jim Morrison gegen Ravels «Bolero» ansingen.

Der plötzliche Herztod von Claudius Scholer am 25. März 2018 nach einem Tennismatch in Kigali war genetisch bedingt und nicht seinem Lebensstil geschuldet. Seine Stücke «Dem Tod ist’s einerlei» und «When the Devil Comes Collecting» von 1993 erhalten plötzlich eine andere Bedeutung. In seiner Musik fliegt der Himmelsvogel weiter.

Veit F. Stauffer betreibt den Plattenladen Rec Rec in Zürich. Dort sind auch alle Alben von Claudius Scholer erhältlich.

Fotolegende: Claudius Scholer in der Mitte, umgeben von Tobias Madörin, Luzian Jenny, Baschi Baumgartner und Nick Bürgin, 1988. Foto: Nicole Zachmann