Gesammeltes aus dem Leben No. 5

Gesammeltes aus dem Leben No. 5

News vom 15. Juli 2024

Liebe Leute
Ich freue mich, konnte ich kürzlich mit der Buchbesprechung zu Stefan Signer ein Lebenszeichen verschicken. Seit November 2023 war ich in ärztlicher Behandlung. Ich bin jetzt über dem Berg und die Untersuchungen sollten im Spätsommer 2024 abgeschlossen sein. Deshalb gab es seit Herbst 2023 keinen offiziellen Newsletter mehr. Ich habe aber immer fleissig weitergeschrieben, auf den sozialen Medien (Facebook, Instagram). Davon hier eine Auswahl. Natürlich soll mein sporadischer Newsletter nicht nur Nachrufe enthalten. Trotzdem ist es oft Gelegenheit, an Figuren zu erinnern aus der Subkultur, die mir so am Herzen liegt. Lasst euch in Zukunft weiterhin überraschen von meinen Texten. Ich freue mich, mit euch im Kontakt zu bleiben. Denn jedes Feedback wird auch beantwortet.

Sommer 2024, mit bestem Gruss Veit


In Loving Memory: ANNA MEEK (1 July 1948 - 6 May 2024)
Singer of CATAPILLA

Am 4. Juni 2024 fand in London die Beisetzung statt. Ann Meek hatte sich seit 1973 völlig zurückgezogen von der Musikszene. Catapilla-Saxofonist ROBERT CALVERT gab mir kürzlich aus Australien ihre Todesmeldung durch.
1974 war ein Schlüsseljahr meiner frühen musikalischen Ausbildung. Mit 15 Jahren war mein Forschungstrieb definitiv erwacht. Die Zürcher Warenhäuser boten im Februar jeweils sehr interessante Musik im LP-Ausverkauf an. Ich schlich mehrmals um den gedeckten Jelmoli-Stand draussen an der Ecke Seidengasse / Uraniastrasse und wusste: für meine 50.- Fr gespartes Sackgeld konnte ich zehn Platten auswählen. Rein optisch nach Gefallen der Cover oder strikt nach aufgelisteten Instrumenten oder Bandfotos.
Mein grösster Fang war CATAPILLA "Changes" (Vertigo, 1972), das zweite Album der Gruppe, wie ich später herausfand, mit attraktivem Raupencover. Im Magazin POP fand ich eine Kurzrezension. Es sei eine coole Mischung aus Curved Air, Colosseum und East Of Eden. Das war damals genau meine musikalische Wellenlänge. Mich faszinierte diese einzigartige Jazz-Rock-Fusion mit dem geheimnisvoll-sphärischen und lautmalerischem Gesang von ANNA MEEK. Ich hörte diese Platte so oft, dass sie vollständig in mein DNA-Erbgut übergegangen ist. Irgendwann um 1975 schrieb ich mit Leuchtfarbe den Namen CATAPILLA an die Wand meines Kinderzimmers, so dass der jugendliche Veit auch nachts nicht die Orientierung verlor. Siehe Foto: November 1978.
Die Lektion war schnell klar und auch nachhaltig: selbst Bands mit keinem Eintrag in einem Rocklexikon, können wertvolle Impulse zur Musikgeschichte beitragen. Nach verzweifelter Suche fand ich neun Monate später im BRO Records (Manessestrasse) endlich das Debut "Catapilla" (Vertigo, 1971) mit angebissenem Apfel, und feierte diesen Moment im November 74 wie einen Sieg im Fussballclub. Das Debut war wilder und ungestümer, besass den anarchischen Drive von Gong, die Bläsersätze sassen tief und exakt. Eiferte die Stimme der 23-jährigen Anna Meek hier etwa Janis Joplin nach? Allein das 24-minütige "Embryonic Fusion" war ein Ereignis.
In Vertigo-Label-Fangroups wurde die Stimme von Anna Meek regelmässig in Frage gestellt. Ich schrieb dann jeweils: Sie war eine Vorläuferin der Punksängerinnen wie Poly Styrene (X-Ray Spex) und schüttelte bloss den Kopf über solches Mass an Banausentum im sehr engen Progressiv-Segment. Produzent COLIN CALDWELL hat damals übrigens auch mit Curved Air, Groundhogs, Black Sabbath, Aynsley Dunbar, Anne Briggs, Monty Python und Black Widow zusammengearbeitet.
Viva ANNA MEEK! Du bleibst unvergessen. Rest In Power!


RÖBI GEHT
Veit auf versehentlich unsignierter Postkarte (August 2022), die von Röbi gegen Schluss des Films hocherfreut erwähnt wird (at 70:36 Min)

Dieser Post ist ein Tribute an den Film "Röbi geht" von Heidi Schmid und Christian Labhart, angereichert mit Anekdoten.
Das wild bewachsene Haus in Robenhausen von Heidi Demuth & Röbi Widmer gehörte 1983-1988 zu meinem erweiterten Familienkreis. Meine Schwester Monika war nämlich mit ihrem Mann dort eingezogen, in Erwartung des ersten Sohnes Marco 1984, und 1987 kam seine Schwester Fiona auf die Welt. So erlebten wir eine lebendige Land-Kommune mit fünf Kindern, da waren nämlich noch die zwei Söhne Silvan und Andri (von Heidi & Röbi) und Sohn Nino (von der im Film auftauchenden Ärztin Claudia Landerer), beide Nino und Marco haben später zusammen in Genf studiert. 1983-86 waren wir sehr oft in Robenhausen, mit der ganzen Familie: meine Eltern waren dabei, meine Partnerin und unser Sohn Orlando. Da wurden über alle möglichen Themen gesprochen, über Realpolitik, Kultur oder Familien-Modelle.
Der zweite Bezugspunkt war Jahre später meine Produktion der "Freiwild"-CD von Paul Weixler, im Sommer 2003. Paul wohnte gleich gegenüber dem "Suneboge" an der Gerechtigkeitsgasse, wo Röbi Widmer jahrelang sein Engagement in moderne Sozialarbeit steckte. Paul war Dauergast als Nachbar, der Fotokopierer lockte oder sein Wunsch, ein neues Lied einem kleinen Publikum vorzusingen. Manche Songs von "Freiwild" wurden so erstmals in den Räumen des "Suneboge" vorgetragen. Dem Pfarrer Sieber bin ich nie persönlich begegnet, ausser am Fernsehgerät, und so wurde mit der Zeit der Röbi für mich symbolisch zur wichtigsten Person der Hilfswerke. Sehr erhellend war die moralische Unterstützung, die ich von Heidi & Röbi während der Produktion von "Freiwild" bekam. Sympathisch, dass Paul Weixler auch im Film "Röbi geht" seinen Auftritt bekommt (at 46:40) mit "Liäd vom Tod“.
Den Film konnte ich kürzlich auf SRF zum zweiten mal sehen. Dort ist es innerhalb der Schweiz bis November 2024 abrufbar. Der Film lebt durch die beeindruckenden Landschaften (Kamera: Heidi Schmid), unterlegt mit Gedichten von Röbi Widmer sowie eigens für den Film eingespielten Bach ("Goldberg Variationen" von Oliver Schnyder). Sehr lebhaft wirkt das Super 8-Material, es gibt Einblicke in das kreative Klima im früheren Robenhausen, wie auch in die Anfänge der Sieber-Hilfswerke. Bei 53:00 Min. gibt der Kommentar von Röbi Einblick in die späteren Konflikte mit Ernst Sieber, leider eine Spur zuwenig ausführlich. Trotzdem haben Heidi und Röbi ihn auf Wunsch der Familie beim Sterben begleitet.
Der Film schwächelt im letzten Drittel. Statt mutig Szenen der zu Dutzenden eingeladenen Sofa-Gästen einzublenden, werden wir im Übermass zum Thema Sterben und Loslassen eingelullt. Die Drehzeit im Süden bringt keine neue Erkenntnisse, wirkt zu familiär, bewegt sich an der Grenze zum Kitsch. Das wird besonders deutlich beim Abspann mit dem Song von Patent Ochsner ("Für Immer Uf Di"). Aber das ist natürlich Geschmackssache.
In Loving Memory, Röbi!

Dank an Heidi Demuth für das Fotografieren der Postkarte. Vermutlich wollte ich mich beeilen, damit Röbi die Postkarte noch erhielt, deshalb vergass ich die Unterschrift!


WAYNE KRAMER. In Loving Memory (April 30, 1948 - February 2, 2024)
Schlüsselfigur des politischen Widerstands, Freund von SUN RA, IGGY POP & THE STOOGES, PATTI SMITH & FRED SONIC SMITH, MUDHONEY, HAL WILLNER u.v.a Zuletzt hat er bei ALICE COOPER "Detroit Stories" (2021) mitgewirkt.
Als ich im Frühling 1975 aus der Sekundarschule trat, begegnete ich der Reihe nach MC5 und STOOGES / IGGY POP, JOHN CALE und NICO, KEVIN AYERS und ROBERT WYATT, BRIAN ENO und PHIL MANZANERA, CARAVAN und MATCHING MOLE, CAPTAIN BEEFHEART und GRATEFUL DEAD, FUGS und DAVID PEEL, TERRY RILEY und MEREDITH MONK u.v.a. Zum Ende des Jahres 75 dann das Schlüsselalbum "Horses" von PATTI SMITH, alles stand in einem grossen Zusammenhang.
Das Echo in der Musikwelt seit seinem Tod ist zu Recht überwältigend. Im September 2004 sah ich mit Freunden ein überwältigendes Comeback-Konzert im Zürcher Palais Xtra. Viva WAYNE KRAMER and all who sail with it!
1994-95 hat JEFF BUCKLEY nicht nur "Hallelujah" von LEONARD COHEN einem breiteren Publikum dargebracht, sondern auch "Kick Out The Jams" von MC5!
MC5 hatte übrigens schon früh eine Sterbewelle hinnehmen müssen: Sänger ROB TYNER starb im September 1991 mit 46, Gitarrist FRED SMITH im November 1994 mit 46, Bassist MICHAEL DAVIS im Februar 2012 mit 68 Jahren. Einziges noch lebendes Ur-Mitglied ist jetzt Drummer DENNIS THOMPSON.


CARLA BLEY (1936–2023)
Thank you CARLA BLEY (1936–2023) for sharing your dreams with us. Rest in peace +++

Ich war drei Tage am Genfersee im altehrwürdigen Hotel Masson oberhalb Montreux und erfahre jetzt von diesem grossen Verlust für die Musikwelt. CARLA BLEY spielte auch einmal am Montreux Jazz Festival, im Juli 1984. Drei Schlüsselkonzerte habe ich mit CARLA BLEY miterlebt: August 1977 in Willisau, November 1988 im Volkshaus und zuletzt im Moods, Mai 2019.
Das Konzert in Willisau, Samstag 27. August 77, mit den Canterbury-Figuren: Gary Windo, Elton Dean und Hugh Hopper bleibt unvergessen, kurz nachdem ihr bisher zugänglichsten Album "Dinner Music" erschienen war . („Hopper Tunity Box“ war ein halbes Jahr zuvor ein Highlight des Genres, mit Stücken wie „Gnat Prong“, „Lonely Sea And The Sky“ oder die Ornette Coleman-Adaption „Lonely Woman“.) Meine Freude war gross, den Soft Machine-Bassisten auf der Bühne zu beobachten. Dann war auch Sängerin Lisa Herman mit auf dieser Tour dabei, dank „Kew.Rhone.“ mit Greaves/Blegvad war sie mir ein Begriff. Leider fiel Lisa ausgerechnet bei diesem Konzert aus, aber das ist ausser dem Veranstalter Niklaus Troxler wohl kaum jemandem aufgefallen. Es war ein überwältigendes Konzert, mich beeindruckte auch, dass ihr Mann Michael Mantler als Sideman auf der Bühne zurückhaltend agierte.
Erst später wurde mir die wirkliche Bedeutung von Carla Bley / Michael Mantler bewusst. Sie begründeten 1972 mit „New Music Distribution Service“ in NYC eine wichtige Schaltstelle der Avantgarde- Musik Szene. Eine zukünftige Import-Quelle und Sortiments-Erweiterung für den Rec Rec-Shop von 1982 – 1989. Sie waren 5-10 Jahre jünger als meine Eltern, als überaus kreatives Paar unterwegs und führten eine offene Ehe. Genau so wie Yoko Ono / John Lennon, Gilli Smyth / Daevid Allen von Gong oder Niki De Saint Phalle / Jean Tinguely.