"If you like Beefheart, give them a chance"

Special Review vom 6. September 2017

Liebe Musikinteresierte!
Es war ein schwerer Einstieg zu Birthday Party, anfang November 1981, ein müdes, enttäuschendes Konzert im Kino Walche, organisiert vom Plattenladen Jamarico, man wollte den Kollegen die Ehre erweisen. Die Band übernächtigt nach langer Reise, eingepfercht zwischen Amsterdam und Bologna, mit zu grossen Vorschuss-Lorbeeren. Aber die Zeit war noch nicht reif für den Genius Nick Cave. Es waren knapp 80 Leute anwesend.

Szenenwechsel: London Sommer 1982, zwei Monate Praktikum bei Rec Rec London, in der Freizeit ganz auf mich alleine gestellt. Der Tourmanager von Henry Cow, Nick Hobbs, arbeitete nun in der Booking Agency von Rough Trade. Er lag mir in den Ohren, ich dürfte auf keinen Fall Birthday Party verpassen, frisch nach England umgezogen, häufig auftretend. „If you like Beefheart, give them a chance.“ Ich sah sie dann mindestens zweimal, auch mit meiner angereisten Zürcher Freundin Barbara Giezendanner, im Venue nahe Victoria Station, ein schöner Saal mit ähnlichem Umfang wie das Palais Xtra. Und das Suchtpotential stieg. Die Band zauberte eine lässig inszenierte Dramaturgie von unglaublicher Intensität auf die Bühne. Sie mussten sich gegen „das arrogante Londoner Publikum“ durchsetzen und gaben ihr Bestes. Wenig später zogen sie um nach Berlin, und trafen dort Blixa Bargeld.

Die Essenz des Frühwerks
Um 1987/88, während einer nihilistischen Lebensphase in aufwühlender „No Future“-Stimmung, habe ich Birthday Party wiederentdeckt. Ihre beiden einzigen Studioalben, „Prayers Of Fire“ (81) und „Junkyard“ (82) sind ein Zwillingspaar, atmen dasselbe Klima. Antreibende, manisch überdrehte Hochseilakrobatik, im aufregenden Dualismus mit schwer geprüften Balladen. Nicht unähnlich den zwei ersten Alben der Stooges mit Iggy Pop. Wer das hypnotische, zehnminütige „We Will Fall“ (1969) kennt, ahnt die ungefähre Stilrichtung. Bass und Schlagzeug halten die abgedunkelte Raumtemperatur im Schwebezustand, inmitten funkelt der stolze Gesang hinein. Das ist die Essenz des Frühwerks.
Die Vorläuferband The Boy’s Next Door sowie die zehn Stücke der Minialben „Mutiny“ und „The Bad Seed“ von 1983 dürfen ruhig vernachlässigt werden. Es gab auch Vorteile beim damals aufkommenden CD- Format. Auf „Prayers On Fire“ entdeckte ich meinen absoluten Lieblingstrack „Dull Day“, eine versierte Komposition von Gitarrist Rowland S. Howard (1959-2009). „ My Head Is A Night-Club, Club- Clubbed To Dull Drums, Beating Too Slow (..) I’m Drinking I’m Drinking I’m Drunk“ - und als Bonustrack das mir bisher völlig unbekannte „Blundertown“, eine B-Seite der dritten Single „Nick The Stripper“, aufgenommen in Australien, Januar 1981. Die manische Zeile I’m Drowning And There Is No Relief From„ befeuerte meine ausweglose Stimmung am Ende oder bereits zu Beginn eines langen Ausflugs ins Zürcher Nachtleben. Diabolisch wird aber im Text nüchtern nachgeschoben: „Don’t Listen To My Very Dull Brother“.
Heute erstaunt es mich keineswegs, dass meine Lieblingstracks meist von Gitarrist Rowland S. Howard geschrieben wurden. Mit Keyboarderin Genevieve McGuckin und dem Seelenbruder und Drummer Epic Soundtracks ((ex-Swell Maps) begründete er die famose Band These Immortal Souls, die 1987 und 1992 zwei heute hoch gehandelte Alben veröffentlichte.

Dunkle Vorahnung
Die beiden ersten Nick Cave-Soloalben habe ich enthusiastisch begrüsst, mich faszinierte die dunkle Crooner-Seite, die der Sänger damit zum klingen brachte und den Zeitgeist ergiebig mit seinem roten Faden umwickelte. Mein Lieblingslied „Avalanche“ von Leonard Cohen als Eröffnungsstück, dazu die Single „In The Ghetto“ (Elvis Presley) - das war ein starker Einstand. Danach verlor sich mein Interesse zunehmend, wenn mir auch spätere Perlen wie „Weeping Song“ (1990), „Into My Arms“ (1997) oder „Henry Lee“ (1996, das Duett mit PJ Harvey) nicht entgangen sind.
Das Drama um seinen im Sommer 2015 tödlich verunglückten Sohn Arthur hätte ich ihm gerne erspart. Im Albumtitel seines vierten Albums „Your Funeral, My Trial“ (1986) schwang bereits eine Vorahnung mit. Um an den rebellischen Geist der Birthday Party anzuknüpfen, lancierte er 2007 das Nebenprojekt Grinderman, womit er auch auf Tour ging. Mir ist bis heute unverständlich, dass so viele Cave-Fans um sein Frühwerk einen Bogen machen. Im Notizheft Oktober 1982 verarbeitete ich meine Birthday Party-Konzerte, unter deutlichem Einfluss der grotesken Metapher von Lautréamonts „Die Gesänge des Maldoror“ (1869), das von den Surrealisten wiederentdeckt wurde:
„Am Eingang wurde jedem Besucher ein Arm gebrochen, genau aufgeteilt nach linke und rechte Hälfte – und sogleich eingegipst ! So standen sie nun da und liessen sich vom Unglück nicht abhalten: für den Applaus klatschten sich jeweils immer zwei Leute in die Hände.„
Veit F. Stauffer

Track "Blundertown", 1981, written by Rowland S. Howard

Track "Dull Day", 1981, written by Rowland S. Howard

Und noch ein Birthday Party- Track mit bewegtem Bild, zu finden auf der DVD "Pleasure Heads Must Burn":
Eine wirklich sehenswerte Performance der komplett überdrehten Birthday Party, wie ich es ähnlich in London erlebte. Bassist Tracy Phew fand ich mit dem Cowboy-Outfit echt gewohnheitsbedürftig, ich wusste nicht, dass er bereits im Nov. 1986 im Alter von 28 starb! Dazu der kettenrauchende Rowland S. Howard mit den schwungvollen Hüftbewegungen. Und das auch im Elend ungebrochene Selbstbewusstsein von Nick Cave, erinnern an ähnliche Auftritte von John Cale oder Jim Morrison. Es entsprach dem damaligen Lebensgefühl. Selbst die Frisuren von Nick & Rowland waren stilbildend.