REC REC trauert um Lhasa
Special Review vom 11. Januar 2010
Der REC REC Laden trauert um die magische Sängerin LHASA (1972-2010). Unglaublich traurig: der Brustktrebs von LHASA, erst 37 Jahre... 21 Monate hat sie mit der Krankheit gekämpft, sie hinterlässt 9 Geschwister, 16 Nichten und Neffen, beide noch lebenden Eltern, ihre Katze und den Freund Ryan. Und Tausende "Fans All Over The World". Fragen und Gerüchte kursierten bereits seit ihrem am 8. Juni abgesagten Zürcher Konzert im Volkshaus 3. Dezember 2009. Niemand verriet genauere Details, logisch! In solchen Situationen braucht man am wenigsten gutgemeinte Ratschläge oder aufringliche Fananfragen. Ich halte nicht viel von Pathos. Beim Tod eines Idols gilt es Projektionen zu vermeiden und sich von allfälligem Selbstmitleid scharf abzugrenzen. Trotzdem wage ich die Behauptung: eine vollendete Sängerin wie LHASA wird die nächsten 25 Jahre nicht so schnell wieder auftauchen. Es müssen Vergleiche mit Grössen wie Billie Holiday, Om Kalsoum, Nina Simone, Chavela Vargas gezogen werden.
Ihr letztes Album "Lhasa" verlangt nach einer ganz neuen Leseart. Wir haben uns daran gewöhnt, poetische Texte im Songformat als reine Metapher zu verstehen. In diesen Texten finden wir zahlreiche Hinweise auf existenzielle Fragen um Leben oder Tod:
"When my lifetime had just ended
and my death had just begun
I told you i'd never leave you
But i knew this day would come"
LHASA, I'm going in, 2009
"Bells are ringing
we both know
there's nothing left to do
but walk out there and go"
LHASA, Bells, 2009
"I had a dream last night
a fish on land
gasping for breath
just laughed
and sang this song"
LHASA, Fish on land, 2009
"My prison will be broken down
the dark will come undone
a thousand and one night of this
and then the change will come"
LHASA, 1001 nights, 2009
Stefan Franzen schreibt dazu: "Reduziert ist die Besetzung mit Harfe, Pedal Steel und Piano, Country- und Gospeltöne scheinen auf, ihre Stimme wirkt unmittelbarer und zerbrechlicher denn je. Eine Reduktion, die an manchen Stellen kaum zu ertragen ist, schon auf Jenseitiges hindeutet, ähnlich wie in Nick Drakes "Pink Moon"-Album." - Dafür gibt es noch andere Beispiele: "Himmel & Hölle" (1995) von Rio Reiser, "Diary Of A Snake Charmer" (2002) von Dominique Alioth oder "Look At The Fool" (1974) von Tim Buckley.
Der Aufstieg von LHASA mit einer Million verkauften Tonträgern und ausgedehnten Konzerttouren ist ein Phänomen, auch weil es fast im Geheimen geschah und nicht im Zusammenhang mit "Dancefloor"-Remixes oder zahlreichen ausgekoppelten Singles (wie z.B. bei Jeff Buckley oder Bjoerk). Das Geheimnis dazu: LHASA war stets von hervorragenden Musiker/innen umgeben, die ihren traumwandlerischen Kompositionen bis in feinste Verästelungen zu folgen vermochten (Beispiel: der instrumentale Schlussteil von "J'Arrive a la ville", 2003). Auch dank der Präsenz ähnlich gelagerter, multikulturell ausgerichteter Namen wie Manu Chao, 17 Hippies, Pascal Comelade, Accordion Tribe, Vinicio Capossela, Iva Bittova, Ensemble Rayé, Stimmhorn oder Lula Pena. Sie passte in kein Schema, hauptsächlich durch Mundpropaganda wurde sie berühmt, kaum durch Zeitschriften wie Rolling Stone, Musik Express, Wire oder Spex.
Den ersten Schweizer Auftritt von LHASA am Paléo Festival (Juli 1998) habe ich verpasst, aber Benedeto Vigne schrieb darüber begeistert im Tages Anzeiger. Der zweite Auftritt am Samstag, 6. März 2004 fand im kleinen Genfer "Casino Theatre" statt. Kurz zuvor hatte ich den Musiker Reesli Burri kennengelernt, der auch bei einem Carunternehmen beschäftigt war. Deshalb hiess es bald in einem Rundmail des Rec Rec-Shop: "Es besteht noch eine kleine Chance für einen Auftritt in der Deutschschweiz, ansonsten organisiert der REC REC Laden zusammen mit Zugvogel Reisen und Reesli Burri am Steuer eine Carfahrt für 35-50 Personen Zürich-Genf retour zu 40.- Fr pro Person". Dazu kam es nicht, der Aufruf war zuwenig professionell organisiert. Stattdessen strapazierte ich die Nerven meiner Freundin Maria, indem ich ohne genaue Adresse zu kennen, dem armen Taxifahrer auf englisch den Auftrag gab, uns zum Auftrittsort von LHASA zu fahren. Zudem war die Reservation von Warner Brothers nicht beim Veranstalter angekommen, so dass wir unseren ganzen Zürcher Charme ausspielen mussten, um dennoch Einlass zu erhalten. Ich habe mir keine Notizen zu diesem Konzert gemacht, aber wir waren beide verzaubert. Noch zweimal kam LHASA 2004 in die Schweiz: im Juli erneut ans Paléo Festival und dann am 10. November 2004 endlich nach Zürich (Kaufleuten). Im Juli 2005 dann noch am "Blue Balls Festival" in Luzern. Beide Auftritte haben meine Zuneigung zu LHASA verstärkt.
LHASA hat uns mit ihren drei Alben eine intensive Trilogie hinterlassen, "The Living Road" (2003) bedeutet das Bindeglied zwischen "La Llorona" (1997) und "Lhasa" (2009), auch sprachlich abzulesen durch den Uebergang von Spanisch zu Englisch.
Ich empfehle eine nähere Auseinandersetzung mit "Lhasa", dem leider letzten Album (ein geplantes Tributalbum mit Liedern von Victor Jara und Violeta Parra bleibt unrealisiert, deutet aber auf ihr politisches Bewusstsein). Zum Einstieg ein Vorschlag zur ersten Single-Auskopplung:
Seite A: Love Came Here (ein genialer Slow Motion-Kracher, laut zu hören, es gibt kein ähnliches Stück von Lhasa!)
Seite B: Fool's Gold (eine bittersüsse Abschieds-Ballade an einen verflossenen Liebhaber im Americana-Stil)
"Don't keep in touch, I don't miss you much
Except sometimes early in the morning
Did you ever believe the lies that you told
did you earn the fool's gold that you gave me"
LHASA, Fool's Gold 2009
Im weiteren empfehle ich (den trostsuchenden Fans) einen Besuch auf der Website von Lhasa
Absolut sehenswert und von übermässiger Trauer befreiend: die kurzhaarige LHASA am Ostersamstag, 11. April 2009 vor intimem Publikum in einem Privatloft von Montreal, unkonventionell gefilmt. Klickt das obere Bild rechts an und beschaut Euch diesen Auftritt in sieben Teilen. So möchte ich LHASA in Erinnerung behalten: Nicht nur faszinierte mich schon immer ihr schelmisches Lächeln, beim verpatzten Anfang von Track 3 "Love Came Here" bekommt die Sängerin, die wir nicht vergessen werden, einen sagenhaften Lachanfall...
Dies für heute, Herzliche Grüsse & trotzdem alles Gute für 2010, Veit