Remember Gilli Smyth & Daevid Allen
Special Review vom 3. September 2016
Für GONG-Poetin und -Mitbegründerin GILLI SMYTH (1. Juni 1933 - 22. August 2016) ein Nachruf aus Zürich, der im Sommer "2032" (GONG-Album von 2009) wiedergelesen werden darf, vielleicht hat sich bis dahin die Reputation gebessert. Dies ist eine spontane Zusammenstellung von Gedanken und zahlreichen Links zu Schlüsselalben. GONG waren ab 1976 in meiner musikalischen Entwicklung neben Brian Eno, Robert Wyatt, Henry Cow, Faust, Van Dyke Parks u.a. dafür mitverantwortlich, dass überpräsente "fortschrittliche Musik" wie Frank Zappa oder Pink Floyd für längere Zeit getrost ignoriert werden durfte. Die Musik von GONG war stets unberechenbar, aber immer auf hohem musikalischen Niveau, sie durchwanderte mitsamt allen Nebenprojekten von 1968 bis 2016 zahlreiche Stil-Kategorien: Psychedelic Rock, Fusion-Jazz, World, Spiritual Healing Music, Funk, Punk, Techno, Ambient, Acid House.
Stellt Euch vor, PATTI SMITH, MARIANNE FAITHFULL oder LAURIE ANDERSON stirbt, und kaum jemand nimmt davon Notiz! Besonders der deutsche Sprachraum hat sich mit der Mythologie rund um das humorvolle, farbenprächtige Raumschiff GONG immer schwer getan … ähnlich wie die traditionelle Geschichtsschreibung des Jazz jahrzehntelang Mühe bekundete, das Phänomen des SUN RA ARKESTRA einzuordnen, so wird Gong (in Deutschland) bis heute auf ein paar winzige Webseiten des Prog-Rock reduziert. Nachrufe oder zumindest Kurzmeldungen in Spex, Musikexpress oder Rolling Stone? - Fehlanzeige ! Unverzeihlich, aber halt auch sehr typisch, der sonst sehr verdienstvolle Kulturwissenschaftler Diedrich Diederichsen, der 1997 die Keyboarderin MIQUETTE GIRAUDY nicht als Frau erkannte, als Übersetzer des Buches "Ocean Of Sound" von DAVID TOOP, ich zitiere die Originalversion, Seite 59: "Steve Hillage's collaborator on these two long pieces - "Garden of Paradise" and "Four Ever Rainbow" - was Miquette Giraudy, a French keyboard player who has acted in Barbet Schroeder's 1972 film "La Vallée", a confused story set in Papua New Guinea but given some commercial impetus by Pink Floyd's "Obscured By Clouds" soundtrack." - Die Ehrenrettung 2016 der "offiziellen Rockpresse" leistet das Stammhaus in den USA: Gong Co-Founder Gilli Smyth Dead at 83
Das schönste Bonmot von FRANCIS PICABIA (1879-1953) für Menschen in Aufbruchstimmung: "Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann", könnte Gilli Smyth & Daveid Allen als Lebensmotto gestanden haben. Eines der kreativsten Paare der Epoche, nebst John Lennon & Yoko Ono, Annette Peacock & Paul Bley, Brian Auger & Julie Driscoll, Laurie Anderson & Lou Reed, John Cale & Nico, Luciano Berio & Cathy Berberian, Carla Bley & Michael Mantler oder Shakti Yoni & Bert Camembert:-
Die SOFT MACHINE-Bandkollegen von DAEVID ALLEN (1938-2015) besangen ihre grossen Lieben mit "Lady Rachel" (1969, KEVIN AYERS) und "O Caroline" (ROBERT WYATT bei Matching Mole, 1972), Daevid selbst hat seine Muse und Mondgöttin GILLI SMYTH alias SHAKTI YONI als Mitbegründerin gleich mit in das Bandprojekt GONG aufgenommen und im Herbst 1971 auf dem sehnsüchtigen "Selene" verewigt. Wir hören den abgefahrenen Psychedelic-Rock-Klassiker "Squeezing Sponges Over Policemens Heads" auf dem GONG-Album "Camembert Electrique" vom Oktober 1971, auf diesem Album hatte das Paar übrigens als Gäste den ausgewiesenen XENAKIS-Pianisten Konstantin Simonovitch (auf "Dynamite") sowie den versierten Jazzorganisten Eddy Louiss (die geniale, kräftige Orgel auf "I've Been Stone Before") Gong - Squeezing Sponges Over Policemen's Heads/Foghat Digs Holes In Space
DAVID BOWIE hat einst treffsicher "Banana Moon" (Marquee Studios, London in January-February 1971) von DAEVID ALLEN als erstes Album des Glamrock bezeichnet: Daevid Allen (Gong) - 1971 Banana Moon
Zu diesem Zeitpunkt war DAEVID 32 und GILLI bereits 38 Jahre alt, sie bekamen zwei Kinder und nach dem 6. Album "You" (1974), auf dem Zenit ihrer Schaffenskraft, verliess das Paar eine Band, bei der schlechte Drogen die Überhand genommen hatte, für einen Wohnsitz auf der spanischen Insel Majorca, um eine introvertiertere Variante ihrer Musik zu zelebrieren, u.a. mit der Gruppe Euterpe.
Hier ist das erste Soloalbum von GILLI SMYTH "Mother" (1978), wofür sie alleine 5 Sterne sowie dreiseitige Nachrufe in EMMA oder SPUREN verdient hätte: gilli Smyth (1978) MOTHER
Das männliche Pendant dazu, von Daevid Allen "Now Is The Happiest Time Of Your Life", ein sehr poetisches, spirituell aufgeladenes Album, auch mit Humor, und verblüffend beatlesken Harmoniefolgen ist leider online nicht mehr verfügbar
Hintergründe zu dieser Zeit, siehe auch: Celebrating Gilli’s myth
Wer nun das Paar in Glückseligkeit versunken auf einer spanischen Insel auf dem Familientrip wähnte, wird verblüfft durch die Punk-Hymne "Opium For The People" Planet Gong - Opium for the People aufgenommen als PLANET GONG im November 1977 auf einer ausgedehnten UK-Tour "Live Floating Anarchy" mit HERE & NOW, eine junge Band die fast zur selben Zeit auf dem "Deptford Fun City Records"-Label ein Split-Album mit ALTERNATIVE TV teilte, mit dem programmatischen Titel: "What You See Is What You Are"
Das ganze Album hier: Planet Gong Live Floating Anarchy 1977
Danach trennte sich das Paar, GILLI SMYTH gründete MOTHER GONG und DAEVID zog es nach New York, sein alter Freund aus Soft Machine-Tagen, Produzent Giorgio Gomelsky (1934-2016) hatte dort neue Aktivitäten ausgeheckt. Während zeitgleich FRED FRITH mit der Band MATERIAL das resolute Noise-Rock-Trio MASSACRE gründete, hat Daevid Allen mit denselben Leuten um Bassist BILL LASWELL ein phänomenales Album "About Time" eingespielt und nannte die Gruppe NEW YORK GONG. New York Gong - Materialism
Daevid war jetzt 42 Jahre alt und kalauerte mit seinem typischen Wortwitz: "I Am A Freud - I Am No Longer Very Jung - I Know My Reich" New York Gong - I am a Freud
Es gab auch schwächere Alben, auf seinem letzten spanischen Album "N'Existe Pas" (April 1979) wirkte seine Stimmungslage tief zerrissen, und das Nachfolgealbum von New York Gong, "Divided Alien Playbax 80" entpuppte sich als misslungenes Gimmick-Album mit zuviel Eigenzitaten. --- Doch bereits für den nächsten Wurf engagierte sich Veit im November 1983 im Rec Rec-Newsletter mit folgenden Worten. Inzwischen hatten sich auch unsere Freunde von DEBILE MENTHOL aus Neuchatel, die wir auf dem Zürcher Rec Rec-Label veröffentlichten, als veritable GONG-Fans geoutet.
DAEVID ALLEN "Death Of Rock" (1982, Shanghai / Butt) Daevid Allen hat zu Unrecht das Image eines Alt-Hippies, denn was er auf dieser Mini-LP bringt, ist knallhart und radikal: ein Grabgesang auf die gesamte Rockgeschichte. Er wünscht dabei folgenden Leuten "gute Nacht": Jim Morrison .. Bob Dylan .. Janis Joplin .. Jimi Hendrix .. John Lennon .. aber auch Joy Division und Sid Vicious ("Zero was also your hero, but Nancy was not your heroine"). Wer mit 40 Jahren auf ein kleines Label wechselt und schreit: "Fuck off, fat managers!" - der hat seine Glaubwürdigkeit bewahrt. Trotzdem ist Allen nicht verbittert, sondern hat seine unerschütterliche Kraft und Sinnlichkeit bewahrt. Dieser Mann ist nicht genug zu empfehlen .. (Nov 83)
Danach zog sich Daevid Allen wieder nach Australien zurück, und liess sich zum Atem-Therapeuten ausbilden … im Februar 1988 begegnete ich ihm an einem verlängerten Wochenende in Südengland, als Teilnehmer eines Rebirth-Workshops, den ich zusammen mit dem Musiker Ralph Beauvert aus Winterthur besuchte. Ein wilder Haufen von ambitionierten Gong-Freaks, darunter auch Rob Ayling (Voiceprint) und Johnny Green (Gas). Ich bekam den Eindruck, Daevid hätte nun seine wahre Berufung gefunden, würde nie mehr auf die Bühne zurückkehren.
Aber ab 1992 lief er mit GONG zu einer beneidenswerten Spätform auf, und trommelte die meisten seiner früheren Mitstreiter wieder zusammen. Daraus entstanden ausgedehnte Tourneen und mindestens drei beachtliche GONG-Alben mit GILLI & DAEVID: "Shapeshifter" (92, feat. Didier Malherbe, Graham Clark, Pip Pyle), "Zero To Infinity" (2000, feat. Mike Howlett, Didier Malherbe, Theo Travis) und "2032" (2009, feat. Steve Hillage & Miquette Giraudy). Dank dem Gaswerk in Winterthur, konnten wir uns im Oktober 2000 und Dezember 2001 gleich bei zwei Konzerten von dieser Vitalität überzeugen. Den Punch und Drive von "Camembert Electrique" und "New York Gong" kombiniert mit absoluter Professionalität und beseeltem Spirit.
Aber zurück zu GILLI SMYTH, diese authentischen Filmaufnahmen aus den 70er Jahren geben uns ein klares Bild der damaligen Zeit:
"Witch's Song, I Am Your Pussy" 1973 S/W 5 Min Gong - Witch's Song, I Am Your Pussy