Comebuckley (1987)

Comebuckley

Comebuckley (1987)

Popular

Homage To TIM BUCKLEY (1947-75). Tracks: Make It Right (72), No Man Can Find The War (67), Pleasent Street (67), The River (69), Jungle Fire (70), Blue Melody (69) – COMEBUCKLEY ist der Versuch, das Zeitgefühl der 60er Jahre und die Haltung eines emanzipierten Sängers zu aktualisieren. Kein Remake erfolgreicher Sixties-Sounds, sondern die Homage an die psychologische Entwicklung eines sensiblen Geistes, der sich nie einordnen liess. Diese liebevolle Produktion enthält zeitgemässe Arrangements, earbeitet von einer beeindruckenden Band, bei der Sänger ANDI CZECH (mit grossem Stimmumfang) als eigentliche Entdeckung hervorsticht. Begeisterte Reaktionen von prominenten Kritikern und Musikern sind mögliche Hinweise auf einen baldigen internationalen Erfolg. – COMEBUCKLEY brachte schliesslich eine derartige Nähe zum Original zustande, dass selbst LEE UNDERWOOD, der ehemalige Gitarrist und spätere (Kurz-)Biograf Buckley’s, verblüfft reagierte: „I Think You Guys Are Terrific“. (Dezember 1987)

Make It Right 1987 / 4:17 Min:

No Man Can Find The War 1987 / 4:04 Min:

Pleasent Street 1987 / 5:04 Min:

The River 1987 / 4:34 Min:

Jungle Fire 1987 / 5:42 Min:

Blue Melody 1987 / 4:32 Min:

Come Back, Tim!

30 Jahre Zürich-Los Angeles Connection 1977-2007

Zum 60. Geburtstag von TIM BUCKLEY

Linernotes zu vorliegendem 2CD-Tribut COMEBUCKLEY

Er coachte die Zürcher Tributformation COMEBUCKLEY engagierte sich für ein unvollendetes Filmprojekt über TIM BUCKLEY, hatte intensiven Briefwechsel mit Buckley-Gitarrist LEE UNDERWOOD, besuchte die Witwe JUDY BUCKLEY in Los Angeles und hat zweimal eine Begegnung mit JEFF BUCKLEY knapp verfehlt. Veit F.Stauffer hätte in jeder zweiten Zeile für eine weitere Anekdote abschweifen können. Wir baten ihn, seine archäologischen Ergebnisse einer drei Jahrzehnte dauernden Leidenschaft etwas zu bündeln.

1. Andi Czech: von CITY VIBES über COMEBUCKLEY zu RADIO OSAKA

„Helvetia“ war der erste Song, den ich im Februar 1979 im Keller der Weinbergstr. 84 in Zürich von den CITY VIBES zu hören bekam, als ich mich dort als erster Drummer bewarb. Sie hatten bereits vier Stücke erarbeitet und wollten (dem Zeitgeist entsprechend) so bald wie möglich eine Single EP veröffentlichen.

„Helvetia....Helveetiiiaa“ hauchte Sänger ANDI CZECH (22) beim raffinierten Intro ins Mikrofon, und das Timbre seiner Stimme erinnerte mich schlagartig an TIM BUCKLEY, den ich soeben seit Juni 77 in einer 18 monatigen Odysse (auf der Suche nach allen 9 Alben von 1966-74) mit zunehmender Bewunderung entdeckt hatte. Ich schob den Gedanken wieder beiseite, da uns in dieser Zeit Bands wie Wire, Talking Heads, Television, Patti Smith und Pere Ubu beeinflussten. Ein Schulfreund von Andi war vor kurzem nach London ausgewandert und hielt auch grosse Stücke auf Tim Buckley, sein Name war Hanspeter „Düsi“ Kuenzler, bis heute der wichtigste im Ausland lebende Schweizer Musikjournalist. Im Frühling 80 zeigte sich Andi dann an weiteren Buckley-Erkundungen interessiert und ich lieh ihm meine Schätze zwecks Überspielung aus. Dazu vermachte ich ihm das Songbook, welches die französische Musikzeitschrift Atem im Mai 1977 publizierte, in welchem ein beträchtlicher Teil der Songtexte abgebildet sind.

Im Sommer 1985 fanden sich die City Vibes zu einem kurzen Comeback zusammen mit etwa 10 Proben und interessanten Ansätzen, aber das Projekt verlief wieder im Sande. Ich schlug eine Tim Buckley-Coverversion vor und wählte „Get On Top“ von 1972, möglicherweise der Funke für alle weiteren COMEBUCKLEY-Projekte?

Im Herbst 1986 erhielt ich von Czech eine Einladung zum einzigen Auftritt der Partyband BYE BYE BROTHERS im Zürcher Kanzlei mit zahlreichen Coverversionen der 60er/70er Jahre, tatsächlich gaben sie auch drei Tim Buckley-Tracks zum Besten: „No Man Can Find The War“, „Stone In Love“ und „Quicksand“. Ich war entzückt und hingerissen. Euphorisch liess ich nach dem Konzert verlauten, wann immer Andi Lust hätte, würde ich sofort ein Tributalbum für Tim Buckley produzieren. Erstens waren Tributalben 1986 praktisch noch unbekannt und zweitens hatte ich wenig Ahnung vom Produzieren.

Studienfreund Urs Rageth wurde als Co-Produzent engagiert, Gitarrist Jürg Breitschmid brachte Tontechnik-Erfahrungen mit. Bald darauf trafen wir uns zu viert im Bunde. Alle Tracks kamen in die engere Wahl, bei denen wir übereinstimmten. Andi warf sich bald mit Haut & Haar in das ehrgeizige Projekt, bis heute ist es seine Spezialität, wie ein Schau- oder besser Singspieler in die Tim Buckley-Rolle zu schlüpfen, mit gebührender Ehrfurcht, aber auch erfrischendem Schalk. Im Frühling 87 wurde das Projekt langsam konkret. An einem Wochenende hatte sich die COMEBUCKLEY Band (Andi Czech, Jürg Breitschmid, Urs Klingler, Phil Esposito, Fredi Flükiger, Tommi Meier) zusammen mit Co-Produzent Urs Rageth in ein Ferienhaus in Frutigen BE zurückgezogen, für die letzten intensiven Probesessions.

Ich selbst befand mich inmitten einer zermürbenden Trennungsgeschichte: es sah danach aus, dass mein 2-jähriger Sohn Orlando seine Kindheit in andauernder 10-stündiger Distanz in Amsterdam verbringen würde. Ich versuchte zwar, rational damit umzugehen, war aber grossen Stimmungsschwankungen ausgesetzt. Liebeskummer & Eifersucht, Wut & Verzweiflung, Anklage & Versöhnung. Ich war 28 Jahre alt und hatte mir kurz zuvor erstmals eine Flasche Cognac gekauft, um daraus mehrmals täglich einen beruhigenden Schluck zu nehmen. Am Sonntag kam ich in Frutigen an, um mir die Resultate auf Band anzuhören.

Wenn ich heute daran zurückdenke, kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Wie ein „richtiger Manager“ schlug ich die Hände über dem Gesicht zusammen und sprach: „So nicht!“ Einige Stücke drohten auseinanderfallen oder liessen den roten Faden vermissen. Ich versuchte meine Einwände möglichst sachlich anzubringen, auf jeden Fall zeigten sie Wirkung. Erstens hatte Andi das musikalische Konzept voll im Griff, zweitens hatten wir noch einen „Joker“ in der Tasche namens BEN JEGER, ein vielgerühmter Keyboarder aus Solothurn, der mit Akkordeon und Hammondorgel direkt ins Studio Sunrise in Kirchberg SG kommen sollte.

Den drei Studiotagen (mit Soundman Hairi Vogel) beizuwohnen, entpuppte sich als faszinierende Angelegenheit. Die Stimmung war ausgelassen, aber sehr konzentriert. Wir hatten sechs Songs der Jahre 1967-72 ausgewählt, jedes Stück verlangte nach seinem eigenen „Setting“

Seite A sollte die rockige, extrovertierte Seite von Buckley aufzeigen. „Make It Right“ war das kurze Konzentrat von „Sweet Surrender“, für mich bis heute einer der vollendetsten Buckley-Songs, auch was die Streicher-Arrangements betrifft. Comebuckley gelang es, das Stück mit einem souveränen Post-Punk-Appeal anzugehen, während Ben Jeger mit der Hammond die Version veredelte und Czech die sexuelle Verzweiflung des Protagonisten reichlich glaubwürdig herüberzauberte. Hervorragend auch „No Man Can Find The War“, eine formidable Teamarbeit. Breitschmid hatte seine grossen Momente an der schreienden Leadgitarre, die Rhythmus-Section war bestens verzahnt und Czech schüttelte seinen genialen Trick mit dem zweifach überlagerten Echoschrei aus dem Aermel, abgerundet von einer unüberhörbaren Bombenexplosion. Dezent anfänglich das karge Arrangement von „Pleasant Street“ mit elegantem Klavier, sich langsam zum aufbrausenden Refrain heraufarbeitend.

Seite B ist der introvertierten, experimentellen „Nachtseite“ von Buckley gewidmet. Das hymnische, leicht gespenstische „The River“ bereitet mir auch heute noch regelmässig Gänsehaut. Ein hypnotischer Soundteppich mit desolaten Gitarrenlicks und in grosser Manier Fredi Flükiger an der Perkussion mit gedämpftem Schlagwerk. Dann die grösste Herausforderung, ein Stück von „Starsailor“ (1970): „Jungle Fire“ ist eine einzige rituelle Seance, zuerst das noch zurückhaltende Intro mit gesampelten Walgesängen, dann nach 160 Sekunden der Ausbruch, der Auftritt von Tenorsaxophonist Tommi Meier, das kreative Chaos: „Mama Lion, I Love You Like A Jungle Fire!“ – welches mündet in eine wunderbare Eigenleistung der Comebuckley Crew. Eine Aussage von Buckley „Alles ist Musik, Everything is Music“ wurde erweitert und ins italienische übersetzt: „Tutto E Musica – Continuero A Vivere – Finche Tu Amerai – La Mia Musica“ – zu einer speziellen Aufnahmesession im Wald am Zürcher Uetliberg wurden die vier Frauen der Acapellaband SOPHISTICATS eingeladen, die über diese Sätze dschungelartig improvisierten: Clara Buntin, Eva Enderlin, Vonne Geraedts & Erika Stucky. Es gab bereits eine New Yorker Garagenband gleichen Namens, so hatte sich die Gruppe wenig später in SOPHISTRICRATS umbenannt und die zwei Alben „Four Singers And Bass“ (90) und „We Love You“ (92) veröffentlicht, bevor ERIKA STUCKY eine erfolgreiche Solokarriere als schräge Jazzsängerin startete. Zum Ausklang das wunderschöne „Blue Melody“ mit der Leadgitarre von Breitschmid & dem Akkordeon von Jeger.

Bereits den Rough Mix auf einem Tape hörte ich in den folgenden Wochen fast pausenlos. Das verblüffende Resultat von 30 Minuten hielt meine Befindlichkeit im Frühsommer 87 über Wasser. Seit November 85 war ich mit dem 46-jährigen Tim Buckley-Gitarristen und Journalisten LEE UNDERWOOD in Briefkontakt. Seine Reaktion war euphorisch und ermutigend: „I am impressed with your dedication to Tim and his music, as well as how closely the singer resembles Tim’s tone and nuance. Obviously, a lot of work went into studying Tim, working out the arrangements, recording etc. I think you guys are terrific, and, indeed, I wish you all the best of success!” Einerseits betrieben wir hohen finanziellen Aufwand, um die Stücke im Powerplay Studio fertig abzumischen, andererseits liefen die Vorbereitungen für die Plattentaufe am 5. Dezember 87 in der Roten Fabrik auf Hochtouren. Comebuckley war Headliner, eingebettet in ein grosses Fest mit 1500 Leuten in der Aktionshalle. Der damalige WEA-Mitarbeiter Paul Fischli überreichte mir in perfektem Timing ein Video, welches er im Montreux-Archiv von Claude Nobs gefunden hatte. Erstmals sah ich Tim Buckley in bewegtem Bild, aufgenommen im Mai 74 mit britischen Studiocracks (Tim Hinkley, Ian Wallace & Charlie Whitney), die zwei Tracks „Dolphins“ und „Honey Man“. Ich war emotional überwältigt...

Im Februar 89 ergab sich die Gelegenheit für einen weiteren Comebuckley-Auftritt. Die Studioband von 1987 stand nicht mehr zur Verfügung, die befreundete Begleitband FISH OF HOPE des Basler Songwriters SKY BIRD sprang in die Lücke. Diesmal wurden sieben andere Buckley-Songs ausgewählt und gewohnt akribisch aufgearbeitet: Sally Go Round The Roses, Honey Man, Mexicali Voodoo, Song To The Siren, Sefronia, Stone In Love und Dolphins.

1992 startete Czech sein neustes Projekt RADIO OSAKA, an der Schnittstelle von experimentellem Rock, Jazz, Elektronik und Ambient. Zwischen 1993-2004 erschienen sieben Werke (inkl. 2 Remixalben und einer Live-CD), u.a. mit Tommi Meier & Fredi Flükiger von Comebuckley. Neu dazugekommen war Gitarrist & Komponist STEPHAN THELEN, ein eigenwilliger Robert Fripp-Schüler und für die Nachbearbeitungen der 2007er Aufnahmen von Comebuckley ein grosser Gewinn.

2003 begann Czech das Duoprojekt „Comebuckley Light“ Er interpretierte weitere Buckley-Songs in Unplugged-Versionen zuerst alleine und zog alsbald MARTIN STURZENEGGER hinzu. Die Songs hatte Andi eher im stillen Kämmerchen über die Jahre sorgsam gepflegt und jetzt im Duo neu aufgezogen. Martin (1982 bei der Zürcher Punkband K.O.K. und seit Jahren Mitglied bei derNeil Young-Coverband YOUNG) überzeugt mit seiner erdigen Rhythmusgitarre sowie effektvollen Backup-Vocals. Diese verkleinerte Comebuckley-Formation führt das frühere Konzept hervorragend weiter: Einerseits sehr nahe am Original, andererseits bisher unbeachtete Qualitäten des Materials herausschälend. Ein Detail klärte sich dabei erst kürzlich, und Buckley hat mich dabei von Neuem verblüfft. Hielt ich „Sally Go Round The Roses“ bisher für eine Coverversion des Hits von 1963 der schwarzen Frauenband The Jaynettes (in der 1974 veröffentlichten UK-Version der LP „Sefronia“ werden Lona Stevens & Zell Sanders als Autoren angegeben, bei allen anderen Versionen steht Tim Buckley, der Verlag scheint sich selber unschlüssig zu sein). In Wahrheit übernahm Buckley nur den Refrain, schrieb einen eigenen Text dazu und hat daraus eine ganz andere Melodie gezaubert... Gerne würde ich Comebuckley noch je zwei Songs von FRED NEIL und JEFF BUCKLEY unterjubeln und das in der Schweiz regelmässig auftretende Duo auf Ausland-Tournee schicken, ganz nach meinem 1979-80 an einer Sylvesterparty der City Vibes kreiertem, ironischen Motto: „I Bring You To America“!

2. Judy Buckley

JUDY BUCKLEY war nicht unbedingt detailverliebt, was die Geschichte ihres verstorbenen Mannes anging. Aber trotzdem bekam ich den Eindruck, dass sie mich während den zehn Tagen ins Herz geschlossen hat, die ich Ende Juli 1991 in Los Angeles verbrachte, um für ein geplantes schweizerisches Dokumentarfilm-Projekt zu recherchieren. Judy zeigte mir Fotos mit Tim aus ihrem Archiv und machte sich 16 Jahre nach seinem Tod immer noch Vorwürfe, ihn an diesem Tag nicht wie üblich am Airport abgeholt zu haben. Wie beiläufig erzählte sie, dass sie damals praktisch über Nacht graue Haare bekommen hatte. Es gab für sie nur die Möglichkeit, über den Weg der restlosen Schuldenabzahlung die musikalischen Rechte von Tim Buckley zu behalten. Sie habe von ihm zahlreiche unveröffentlichte „Streams of Consciousness”-Texte im Nachlass sowie einen Kondolationsbrief von Jacques Brel. Am Samstag 20. Juli 91 wurde ich von Judy zu einem Nachtessen bei Freunden in einem Hochhaus am Strand von Santa Monica eingeladen. Auf dem Balkon blickten wir der romantischen Abendsonne nach, auf der gegenüberliegenden Seite zeigte mir Judy von weitem das Haus, in dem Tim am 29. Juni 75 an einer unbeabsichtigten Alkohol/Heroin-Ueberdosis gestorben war. Zum Schluss fuhr mich ihr dritter Mann, der erfrischende und witzige Irländer Llew Llewellyn mit dem Auto nach Los Angeles zurück. Ich erzählte ihm von meinem Elternhaus und beeindruckte Llew mit den Worten, mein Vater habe um 1970 LSD genommen, Captain Beefheart gehört und mit meiner Mutter eine freie Kunstschule gegründet.

Judy’s Sohn Taylor (28) hatte die Absicht, mich im Auto durch Los Angeles zu fahren und zudem mit JEFF BUCKLEY (24) zusammenzubringen, der zu diesem Zeitpunkt in der Stadt war. Leider gelang es mir nicht, Taylor gegenüber den Funken zum Sprühen zu bringen, da mag vermutlich eine gegenseitige Befangenheit mitgespielt haben. Auch wenn ich mir der komplexen Patchwork-Family Buckley durchaus bewusst war, hiess das noch nicht, dass ich keine Fehler machte. Ich besuchte Judy fünfmal in dieser Woche und zum Schluss schenke sie mir ein signiertes Tim Buckley-Foto (abgedruckt im Booklet der 2CD) und gab mir noch ein Stück Lebensberatung mit auf den Weg. Als ich mich über den unzuverlässigen Charakter meiner Ex-Frau beklagte, die 1987 mit unserem 2-jährigen Kind Orlando zum nächsten Mann nach Amsterdam weiterzog, meinte sie völlig zu Recht, dass da offenbar noch ein paar Lektionen auf mich warten würden , und wie wichtig es sei, sich in einer Beziehung genug Raum zu geben. Kaum zurück in Zürich, mit Jetlag nach einem Samstagnachmittag im Bett, raffte ich mich doch noch auf, ging an eine Kunstperformance in die Shedhalle der Roten Fabrik und lernte meine aus Basel angereiste Traumfrau Maria Gasche kennen. Euphorisiert und alkoholisiert, übertrieb ich es mit dem Flirt – deshalb dauerte es dann knapp ein Jahr, bis wir ab Juli 92 endlich ein Liebespaar wurden.

Voll Vorfreude und auf Wolken entwarf ich ein 20-seitiges Expose, welches uns helfen sollte, das Geld (ca. 150.000 $) für den Film aufzutreiben. Im Frühling 92 war es soweit, aber als die praktische Umsetzung und Geldsuche anstand, zeigten sich meine Freunde Andrea & Franz Hauser (Catourne TV) zu stark mit ihren Kindern sowie Geldaufträgen beschäftigt, wir hatten uns zu wenig klar abgesprochen. Zudem kam ich in einen (vorerst unbemerkten) Loyalitätskonflikt, weil Judy sich bei meinem Besuch mit Bemerkungen mehrmals von Lee Underwood distanziert hatte - seinen hervorragenden Nachruf vom Juni 77 im Downbeat (Nov. 85 auf deutsch im Rock Session Vol. 8) aber offenbar nicht zu kennen schien. 2002 hat sie ihm folgerichtig leider die Erlaubnis nicht erteilt, in seinem sehr schönen Erinnerungsbuch „Blue Melody“ aus den Songtexten von Tim Buckley zu zitieren. Es wäre nun leicht, das Scheitern des Projekts auf diese zwei genannten Punkte abzuschieben, aber zu 50% war wohl mein eigener Mangel an Tatkraft zuständig. Ich fuhr als Expresspöstler mit dem Mofa bei jedem Wetter durch die Stadt, ich übernahm zu 35% die Betreuung meiner 2-jährigen Tochter Raffaela, ich bearbeitete nebenher den Nachlass meines Vaters und hatte schlicht zu wenig Energie, das Filmprojekt voranzutreiben.

Fragmente waren vorhanden: die Hausers hatten im Februar 91 mit HERB COHEN ein kurzes Interview gedreht, bekamen die Erlaubnis all sein Fotomaterial im Archiv abzufilmen und führten während einer Autofahrt ein intimes Gespräch mit Taylor, der seine Kindheit 1970-75 mit Adoptivater Tim sehr sympathisch reflektierte. Im Frühling 92 drehten wir in Zürich ein Interview mit EUGENE CHADBOURNE, der Buckley mehrmals Live gesehen hatte und zahlreiche Coverversionen im Repertoire führte. Im April 93 dann das Highlight: Zappa-

Drummer JIMMY CARL BLACK kam im Duo mit Chadbourne nach Zürich, vor dem Konzert filmten wir ein Interview mit zwei herausstechenden Statements. Black gilt als „Entdecker“ von Tim Buckley, der ihn an Herb Cohen weitervermittelte.1965 arbeitete er in einem Gitarrengeschäft in L.A. und beschimpfte Buckley, der verschiedene Gitarren in die Hände nahm und darauf klimperte: „Put that damned guitar back on the wall, unless you wanna buy it!!!“ 1975 war er gerade auf Tour mit Beefheart als per Telefon die Todesnachricht von Buckley hereinkam: das einzige Mal dass er Herb Cohen hat Weinen sehen... Im Juli 93 spielten die GRANDMOTHERS in Bern und ich führte Backstage ein spannendes Gespräch mit BUNK GARDNER, Originalmusiker des „Starsailor“-Albums und Erfinder des Wortspiels BIM TUCKLEY (erwähnt 1972 auf dem ersten „Geronimo Black“-Album). Ab Juni 94 übernahm ich nach 5 Jahren Pause wieder den Rec Rec Shop, nun hatte ich erst recht keine Zeit mehr für andere Projekte.

3. Tim Buckley

Das Gedankenspiel beim Betrachten des Farbfotos von „Sefronia“ (1973), dass TIM BUCKLEY heute theoretisch mein Sohn sein könnte – will mir nicht richtig gelingen. Der charismatische 27-jährige Sänger wirkt melancholisch und ausgebrannt, um 10-15 Jahre gealtert. Ich habe mich jahrelang mit der Spätphase 1972-75 befasst, es bleibt eine grosse Knacknuss – wohl für alle, die sich auf Tim Buckley eingelassen haben. Die Gegner der Lorca/Starsailor-Phase behaupten oft, es wäre zu befürchten gewesen, Buckley hätte zehn weitere Alben in diesem experimentellen Stil eingespielt, wenn ihn das Management nicht gebremst hätte. Dabei wissen wir, dass sich Buckley immer wieder geändert hat und zweifellos hätte er auch wieder leichter zugängliches Material eingespielt. Die Tragik seines Todes im Juni 75 ist für mich eng verknüpft mit dem Abwürgen der Lorca/Starsailor-Phase im Frühling 1971.

Es wird betont, die Verkäufe seien miserabel gewesen, aber ganz bestimmt wurden 25.000 LP’s verkauft. (Als Rec Rec Zürich ab 1983 in den internationalen Independent-Vertrieb einstieg, galten 3.000 verkaufte Alben als Erfolg. Die Trilogy von FRED FRITH auf Ralph Records von 1980-83 startete damals mit je 10.000 Exemplaren). Ich bin überzeugt, die Produktionsgelder 1972-74 haben Judy Buckley mehr Schulden verursacht als Lorca/Starsailor. Es ist ein grosser kultureller Schaden entstanden insofern, dass kein anderes Label (bzw. Management) einsprang und eine weitere Platte mit der Starsailor-Band ermöglichte. Jedes Konzert dieser Phase hätte lückenlos aufgenommen oder gefilmt werden müssen. Die Radioaufnahme vom Oktober 1970 mit der Starsailorband auf einem freien Sender in Los Angeles inkl. einem Interview mit Tim Buckley in Hochform, halte ich für sein bedeutendstes bisher unveröffentlichtes Dokument.

Im Oktober 88 erklärte mir der vielbeachtete Jazz-Posaunist GLENN FERRIS, der mit 18 Jahren in der (undokumentierten) Starsailor-Band mitgespielt hatte: „Mit Buckley zu spielen war um einiges interessanter und abenteuerlicher als mit Zappa!“ Das sagte er in der Pause eines Konzertes in Uster bei Zürich, zusammen mit dem Trompeter Peter Schärli - der wiederum bei zwei Alben von RADIO OSAKA mitspielte, womit der Kreis geschlossen wäre. EMMETT CHAPMAN, der mit seinem Stick auch in der undokumentierten Starsailor-Band mitspielte, hat die Platte einmal AL JARREAU ausgeliehen, der davon so fasziniert war, dass er sie nicht mehr zurückgeben wollte. Die Verkaufszahlen der letzten Jahre auf Ebay sprechen eine deutliche Sprache, jedes Exemplar von „Starsailor“, ob LP oder CD, wird im Schnitt für über 100 $ ersteigert. In einem Anflug von „Over-Enthusiasm“ habe ich im Januar 2006 dem britischen Label Finedisc von David Stone auf Vermittlung 1.000 Pfund vorbezahlt, ohne die versprochenen 150 Kopien einer CD-Neuauflage „Starsailor“ jemals zu erhalten...

Der Versuch, ein erfolgreiches Comeback von Buckley zu lancieren, wurde schlussendlich musikalisch von den Produzenten (Jerry Goldstein 1972, Denny Randell 1973, Joe Falsia 1974) zu wenig clever ausgeführt. Zu keinem Zeitpunkt seiner Karriere wurde das Talent von Tim Buckley in Europa gebührend vermarktet, wo vermutlich seine grösste Fangemeinde gesteckt hätte. Nach den Achtungserfolgen im Oktober 68 in England (siehe „Dream Letter“-Aufnahmen aus London) und in Deutschland („Essener Songtage“) wurde er am 20. Juli 1974 am ersten Knebworth Festival um 14 Uhr als Supporting Act verheizt, während die meisten Besucher noch ihre Zelte aufstellten. Nach ihm spielten noch die Alex Harvey Band, Mahavishnu Orchestra, Van Morrison, Doobie Brothers und die Allman Brothers. Es macht die Sache auch nicht besser, dass ich zu diesem Zeitpunkt mit zwei Freunden während 4 Wochen mit Interrail durch Europa reiste und wir uns für drei Tage in London aufhielten. Nie war ich Tim Buckley näher als an diesem Tag. Aber wir besuchten noch keine Konzerte, sondern grasten die Plattenläden ab, und Buckley sollte ich erst drei Jahre später entdecken.

Möglicherweise war Tim Buckley im Sommer 74 aber gar in meiner Heimatstadt.Im August 88 besuchte mich der bekannte Musikjournalist Bernie Sigg auf Insidertipp im Rec Rec Shop. Nach 1975 gab es eine dritte Auflage des deutschen „Rock-Lexikon“ im Rowohlt Verlag, wozu er die Discographien aufzufrischen hatte. Er setzte seinen transportablen Computer in Betrieb und ich diktierte ihm praktisch auswendig mein Fachwissen in die Tasten. Ich fragte ihn nach einem kleinen Honorar oder allenfalls einer namentlichen Erwähnung in der

Neuauflage, mangels Budget redete er sich aber diesbezüglich heraus. Beim Stichwort Tim Buckley erzählte er mir mit voller Ueberzeugung, dass er mit ihm im Sommer 1974 in Zürich ein Interview geführt habe, welches er aber damals für die Zeitschrift Pop nicht verwenden konnte. Dieses Tape wollte er zuhause suchen und mir „als Honorar schenken“. Leider war esnicht mehr auffindbar, als kleine Geste setzte er dafür die Comebuckley-LP in die Tim Buckley-Plattenauflistung. Urban Gwerder (Herausgeber der Underground-Zeitung „Hotcha“ und früher Zappa-Freund von 1966-76) bestätigte mir später zum selben Zeitpunkt einen Besuch von Herb Cohen erhalten zu haben, schüttelte aber den Kopf darüber, dass Cohen nicht erwähnte, dass auch Tim Buckley in der Stadt war.

Die Ironie der Geschichte: die Connection zu FRANK ZAPPA hat Buckley wenig genützt, im Gegenteil. Obwohl man im Rückblick sagen kann, „Starsailor“ enthält aufregende experimentelle Rockmusik mit den unglaublichsten Harmonien & Rhythmen, die grundsätzlich einem Zappa-Publikum gefallen müssten, in der Praxis war dem gar nicht so. Obwohl ich den Zappa von 1966-75 willkommen heisse, seine Memoiren ein Genuss fand und mich auch mit dem symphonischen Spätwerk anfreunden kann: nie habe ich mich mehr für das Zappa-Publikum geschämt als beim Anhören des Bootlegs „Live At Felt Forum NYC 23. Sept 1972“, als Buckley im Vorprogramm gnadenlos ausgebuht wurde. Wenn die Anekdote in der sehr spannenden Zappa-Biografie von Barry Miles stimmt, dann bekam Zappa 1973 in einem LP-Shop einen Wutanfall, weil dort „Sefronia“ nicht an Lager war – denn das neugegründete „Discreet“-Label hatte sich offenbareiniges von der Platte erhofft. „Look At The Fool“ wird von den Fans am wenigsten geliebt, oft bekommt es in Bewertungen keine zwei Sterne. Mein Freund Andreas Walter, einer der grössten Musiksammler der Schweiz mit einem umfassendem Wissen, hat dieses Album immer schwer verteidigt, ich habe dies als Auftrag verstanden und es mir daraufhin bestimmt 250x angehört. „Wanda Lu“ als Schlusspunkt ist wirklich deprimierend (ich tendiere dazu, die Bootleg-Aufnahme „Live At Starwood“ vom Mai 75 als sein wirklich letztes Statement zu betrachten, bei dem er während dem letzten Stück die Band und sich selbst mit köstlichem Selbstbewusstsein vorstellt), auch lohnt es sich einmal darauf zu achten: restlos jedes der 10 Stücke wurde am Schluss ausgeblendet und möglicherweise gingen auf diese Weise wertvolle Passagen verloren. Es ist aber sehr bemerkenswert, wie Buckley auf diesem letzten Album, welches er ursprünglich „Tijuana Moon“ benennen wollte, zunehmend wie eine (seufzende) schwarze Lady klingt... Als ich einmal meine 3-jährige Tochter fragte, ob sie wisse, woher dieser Sänger stamme, antwortete sie mit entwaffnender Treffsicherheit: „Usäm Land, wo diä schwarze Fraue redäd!“.

In vielen Betrachtungen zu Tim Buckley wird übersehen, dass sich die Popmusik 1972-78 in grosser Krise befand und das „kommerzielle Zugeständnis“ von Buckley nicht isoliert betrachtet werden darf. Viele der von uns bevorzugten Musiker mussten sich damals in übertriebenem Masse dem Publikumsgeschmack anpassen oder begannen ab 1975 resigniert zu schweigen, eingeklemmt zwischen Glamrock, den prätentiösen Auswüchsen des Symphonic-Rock und der aufkommenden Disowelle. ROBERT WYATT wurde nach „Ruth Is Stranger Than Richard“ (75) von Virgin nicht weiter unterstützt und liess sich erst ab 1980 von Rough Trade zu einem Comeback überreden. JOHN CALE handelte sich mit Island Aerger ein, „Helen Of Troy“ (75) enthielt unvollendete Demos und wurde in seiner Abwesenheit veröffentlicht, in der UK-Version wurde gar das textlich kontroverse Stück „Leaving It Up To You“ durch „Coral Moon“ ausgetauscht. Sein nächstes Studioalbum erschien dann erst im Frühling 81 mit „Honi Soit“. NICO machte nach „The End“ (74) eine Pause bis „Drama Of Exile“ im Herbst 81. Der famose Songwriter TOM RAPP (Pearls Before Swine) lieferte zeitgleich mit Buckley von 1967-73 neun Alben ab, das letzte „Familiar Songs“ (73) wurde von Reprise ohne sein Wissen mit lächerlichem Coverfoto aus Restmaterial veröffentlicht. CAPTAIN BEEFHEART ist ebenfalls ein typisches Beispiel, nach „Lick My Decals Off, Baby“ (71) wurde er zunehmend angepasster, Tiefpunkte waren 1974 gleich zwei Alben: „Unconditionally Guaranteed“ und „Bluejeans & Moonbeams“, bevor er 1978-82 auf seinen drei letzten Alben zur alten Klasse zurückfand. Der pfiffige KEVIN AYERS bildete evtl. eine Ausnahme, bei ihm begannen die Zersetzungserscheinungen erst 1980 nach „That’s What You Get Babe“ (sic!). VAN DYKE PARKS veröffentlichte 1975 sein schwächstes Album „Clang Of The Yankee Reaper“, erst 1984 gelang ihm mit „Jump“ ein neuerliches Meisterwerk. MILES DAVIS zog sich nach „Agharta“ (75) fünf Jahre in die innere Emigration zurück. Bei KING CRIMSON war 1975 mit dem Livealbum „USA“ nach neun Alben Schluss, bis 1981 mit „Discipline“.

Die Gruppe HENRY COW hatte 1973-75 eine enorm kreative und aktive Phase beim aufstrebenden Virgin Label und veröffentlichte erst im Mai 78 ihre nächste Platte unter dem Namen ART BEARS auf ihrem eigenen Label Recommended Records - was ein Jahr später zum Schweizer Ableger Rec Rec führte. KEVIN COYNE gehört zu den wenigen, die der Krise trotzten. Stand er mit „Matching Head & Feet (75) und “Heartburn” (76) unter grossem Erfolgsdruck (auf einer Non-LP-Single wurde er 1976 von Virgin gar genötigt, eine überproduzierte “Fever”-Version von Elvis Presley einzuspielen!), schuf er in einem kreativen Befreiungsschlag von 1978-82 sieben eindrückliche Alben. Auch in Deutschland gab es bei TON STEINE SCHERBEN die Krise nach „Wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten“ (75), das nächste Album erschien erst 1981 mit der schwarzen „IV“. Der Punk hat all diese Entwicklungen nicht hervorgerufen, aber der bestimmenden Agonie

zumindest für kurze Zeit ein Ende gesetzt. Erstmals setzten auch Frauen wichtige Akzente: PATTI SMITH mit „Horses“ (75), ANNETTE PEACOCK mit „X-Dreams“ (78), MARIANNE FAITHFULL mit „Broken English“ (79) oder LAURIE ANDERSON mit „Big Science“ (82)...

Ich habe kein Tim Buckley-Memorial-Zimmer zu Hause, es kam mir nie die Idee einen Fanclub zu gründen und ich habe aus Zeitgründen auch nie an einem Online-Chat teilgenommen. Seit 1994 habe ich überraschend wenig Tim Buckley gehört. Ich habe mich im Alltag mit zahlreichen anderen musikalischen Biographien befasst und mir immer einen möglichst weiten Horizont erlaubt. Trotzdem oder gerade deshalb hat mich Buckley vermutlich mit der grössten Passion beschäftigt. Im November 78habe ich in einer symbolischen Performance eine italienische Kopie von STARSAILOR im Garten meiner Eltern vergraben, und sie erst im Januar 85 wieder unbeschadet herausgeholt, als mein Lieblingskater Seppli verstarb. Im Winter 1986-87 entdeckte ich das irritierend schöne Kammermusikwerk „Quartett zum Ende der Zeit“ von OLIVIER MESSIAEN, welches Buckley während den Aufnahmen von „Starsailor“ oft gehört hat. Aufgrund der erwähnten Beziehungskrise befand ich mich in einem Ausnahmezustand. Die aufwühlende wie auch besänftigende Musik, speziell der Gegensatz von „Dans de la fureur, pour les sept trompettes“ zu den beiden langezogenen „Louange“-Stücken, hat mir sehr geholfen, im nächstfolgenden Lebensabschnitt Fuss zu fassen. Messiaen selbst hat das Werk 1940-41 in deutscher Kriegsgefangenschaft komponiert und auf zum Teil defekten Instrumenten (Klavier, Geige, Cello und Klarinette) vor einem gebannt zuhörendem Publikum von 6000 Leuten mit drei Mitinsassen uraufgeführt. Im Juni 1992 habe ich endlich den Roman “Outcast Of The Islands” (1895) von JOSEPH CONRAD gelesen, den Buckley 1975 mit einem Konzeptalbum vertonen wollte. Aufgrund all den offensichtlich vorhandenen metaphysichen Verbindungen mit Buckley war ich nicht sehr überrascht, als bei der folgenden Visionierung der Carol Reed-Verfilmung von 1952 die Hauptdarstellerin KERIMA (*1925) in einer bestimmten Szene verblüffend ähnlich aussah wie die Mutter von Orlando.

2005 während eines Besuchs bei Orlando in Amsterdam erfuhr ich vom Plattenhändler Herman Berkhout (Flesch Records), der seine private Sammlung von 40.000 auf 300 verkleinerte, alle Platten von Tim Buckley waren darin enthalten... Einmal wurde ich in einem Fragebogen nach meiner „Lieblingszeit“ gefragt: scherzenderweise habe ich dann die Abendzeit von 19.47 bis 19.59 Uhr angegeben (= die beiden Geburtsjahre von Tim und mir auf12 Minuten heruntergebeamt). Ich habe bisher 18 Singles von 1966-74 gesammelt, und dabei festgestellt, dass keine einzige Bildhülle existiert, kein Land auf dem Kontinent mitgezogen ist, obwohl damals die unmöglichsten Bands in Holland, Deutschland, Italien, Spanien, Portugal, Norwegen etc. eine Bildhülle bekamen. Meine grösste Fleissleistung bestand vermutlich darin, dass ich eine Liste aller Begleitmusiker von Tim Buckley verfasst habe, bzw. auf welch unzähligen anderen Alben sie mitgespielt haben. Ich entdeckte dabei das schöne Funk/Soulalbum „Brown Sugar“ (73) von CLYDIE KING, das weniger geglückte Album „Memorandum“ (75) der Sängerin MARCIA WALDORF, die Buckley bei seinem einzigen Duett auf „Sefronia“ begleitete. Ich wurde auf den Cellisten JESSE EHRLICH (1920-89) aufmerksam, der auch auf Alben von Zappa, Tom Waits & Van Dyke Parks mitspielte und 1971 eine eigene Komposition „Six Short Pieces For Three Cellos“ (Orion LP 7037) veröffentlichte, die ich kurz nach der Deadline dieses-Booklets tatsächlich fand! Sein letztes Mitwirken entdeckte ich auf „The Forest“ (91) von David Byrne, auf demselben Album ist auch die Schweizer Sängerin Corin Curschellas zu finden...

4. JEFF BUCKLEY

Mit Glück hätte ich ihm im Juli 91 in Los Angeles begegnen können, dafür gab mir Judy sein erstes Demotape mit 4 Tracks. Leider erfuhr ich vom Tim Buckley-Tribut Konzert im April 91 in New York, organisiert von HAL WILLNER, erst im Nachhinein, bei dem Jeff „I never asked to be your mountain“ gesungen und die Fachwelt beeindruckt hatte. Am 14. Februar 1997 wurde ich vom Zürcher Radio Lora (Polo & Fritz) zu einer 4-stündigen Morgensendung eingeladen, zum Anlass des 50. Geburtstag von Tim Buckley, bei der auch ausführlich von meiner Reise nach Los Angeles berichtet wurde. Angesprochen auf JEFF BUCKLEY, lobte ich seine Entwicklung und betonte, dass er in meinen Augen alles richtig machen würde, um den ewigen Vergleichen mit seinem (Ueber-) Vater zu entgehen. Wie Jeff sein Handwerk erst jahrelang durch Soloauftrittemit dem Charisma eines Strassenmusikers in kleinen New Yorker Cafes erlernte und sich dazu virtuos & burschikos auf der elektrischen Gitarre begleitete (posthum sehr eindrücklich dokumentiert auf „Live At Sin-E“) und sein grandioses Debut „Grace“ mit 27 Jahren veröffentlichte, während von seinem Vater im selben Alter bereits das letzte Werk erschien – das hat mich tief beeindruckt.

Leider sollte ich nicht recht behalten: wenige Wochen später starb auch Jeff Buckley unter mysteriösen Umständen, als er für ein Erfrischungsbad mit den Kleidern in den Mississippi sprang. Jeff hat sich in frühen Interviews, als er sich Fragen bezüglich seines Vaters noch nicht verschloss, verächtlich gegenüber der kommerziell gescheiterten Spätphase von 1972-75 geäussert. Jeff ist es gelungen, mit einem unglaublich starken Debut sozusagen 1972 anzusetzen und die Spätphase seines Vaters mit einem Streich wegzublasen. Alles lief nach Plan, Sony steckte grosse Hoffnungen in den aufstrebenden Star, mit seiner Band ging es auf weltweite

Tourneen, es erschienen unzählige limitierte Bonus-Singles in Frankreich, Holland, Japan & Australien. Am 16. Juli 1995 spielte er um 16 Uhr auf der Waldbühne des Gurtenfestivals in CH-Bern. Kurz vor Beginn kam mir Jeff auf dem Gelände mit zwei Musikern entgegen, ich wollte ihn aber nicht in der Konzentration stören, die man vor einem Auftritt braucht – ausserdem fehlte mir wohl die passende Anrede. Der Auftritt hat meine letzten Zweifel beseitigt, mich faszinierte, mit welcher unerreichter Grazie er seine Stimme modulierte, sowie die extrem gegensätzlich ausgewählten Coverversionen: „Kick Out The Jams“ (MC 5) & „Hallelujah“ (Leonard Cohen). Euphorisiert versuchte ich Jeff Backstage zum Auftritt zu gratulieren, das Gelände war aber nach moderner Festivalmanier buchstäblich abgeriegelt. Im Februar 98 lernte ich im Rec Rec Shop den grössten weiblichen Jeff Buckley-Fan der Schweiz kennen, Alex Reiter aus Bern. Wir sprachen über seinen einzig gebliebenen CH-Auftritt, seinen Tod und seine Beerdigung. Alex war nicht nur rechtzeitig nach New York geflogen, es gelang ihr auch, die Mutter MARY GUIBERT kennenzulernen und nebst der öffentlichen auch der privaten Abdankung beizuwohnen.

Mit meinem Jugendfreund DANIEL WALDNER hatte ich Rec Rec Zürich 1979 zuerst als Mailorder gegründet, bald entwickelte sich Daniel durch unermüdlichen Einsatz und Optimismus als führende Kraft. Im August 81 eröffnete er den Rec Rec Shop, im Februar 83 startete er dasRec Rec Label, bis 1995 war die Firma zum wichtigsten Independent Vertrieb der Schweiz mit 15 Angestellten herangewachsen. Während einer harmlos begonnenen Familienwanderung in den Schweizer Bergen, eine Fahrstunde von Zürich entfernt, ist Daniel am 3. September 95 gemeinsam mit seinem 14-monatigen Sohn Valentin über einen steilen Hügel abgestürzt. Seine Frau Barbara hatte ihn bei aufkommendem Nebel für wenige Minuten aus den Augen verloren und das Drama mit ihrem 8-jährigen Sohn Johannes überlebt. Am Abend des 28. Mai 97 habe ich Barbara zu einem längst fälligen Essen eingeladen, zum ersten Mal seit dem Unfall hatten wir Gelegenheit, über alles zu sprechen. Es beschäftigten uns genau dieselben tiefschürfenden Fragen, welche die Nachwelt bei den Todesfällen von Tim und Jeff Buckley beschäftigen sollte und worüber DAVID BROWNE ein ganzes Buch („Dream Brother“, 2001) geschrieben hat: „Hätte man das Unglück abwenden können?“ „Wie hoch war der eigene Anteil am Unfall (verglichen z.B. mit einem Flugzeugabsturz)?“ „Welche Symbolik spricht aus dem Unglück?“ „Wie lässt sich das Ereignis einordnen in den vorangegangenen Lebenslauf?“ – Wenige Stunden nach diesem 4-stündigen, enorm aufwühlenden, aber auch klärenden Gespräch, muss Jeff Buckley mit den Schuhen ins Wasser gespungen sein...

Das Schlusswort geht aber an JOAN WASSER, die Lebensgefährtin von Jeff Buckley zum Zeitpunkt seines Todes. Ich hatte ihre Entwicklung als Bratschistin bereits einige Jahre verfolgt, 2006 verblüffte sie mit ihrem ersten gesungenen Werk unter dem Namen JOAN AS POLICE WOMAN. Am 15. November 06 trat sie mit ihrem Trio im Zürcher Club Moods im intimen Rahmen von 120 Leuten auf. Die zarte Version des Titelstücks „Real Life“ hat mich tief berührt und beeindruckt und klang in meinen Ohren wie ein versöhnliches Echo auf Vater & Sohn Buckley.

Veit F.Stauffer, Ostern April 2007, Zürich Wipkingen