Federn

Manon

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Kürzlich fiel mir ein wunderbares Buch mit autobiografischen Texten der Künstlerin MANON (*1940) in die Hände. Ein unscheinbares Taschenbuch über 250 Seiten, der Rücken ist mit MANON angeschrieben: die Gegenrichtung mit FEDERN. Erschienen im Zürcher Verlag Edition Patrick Frey, ansonsten bekannt für prachtvolle Bildbände zur jüngeren Zürcher Kulturgeschichte, sowie international erfolgreichen Kunst- und Fotobüchern.

"Federn" ist für mich auch deshalb bedeutungsvoll, weil MANON mit dieser Schrift (entstanden um 2005, für den Regisseur eines geplanten Dokumentarfilms), engagiert und poesievoll ihre eigene Persönlichkeit aufschlüsselt, mit 65 Jahren auf die vergangene künstlerische Laufbahn zurückblickt und dabei Geheimnisse von verblüffender Offenheit ausplaudert, manchmal augenzwinkernd mit Charme oder philosophischer Leidenschaft, ähnlich wie CHARLES BAUDELAIRE in "Mein entblösstes Herz" (1887 erstmals publiziert) oder OSCAR WILDE mit "De Profundis" (1895-97)

"Frauen, die in seiltänzerischer Performance auf diesem schmalen Grat balancieren, wo man gerade noch schön, aber nicht mehr jung ist, empfand ich stets als besonders anziehend, vielleicht weil der Absturz so nah, so unvermeidlich ist".

Sehr schön auch ihre Meisterschaft, Intimitäten auszuplaudern, ohne konkrete Namen zu verraten, zum Beispiel hier zur Eröffnung eines von ihr geschätzten Schweizer Künstlers: "Zu viel, zu viel. Von allem zu viel. Eine sehr maskuline Schau, mit grosser Kelle angerichtet. Ich bin unberührt geblieben."

Sie schreibt auch über die komplexe Beziehung zur Mutter. "Längst hegte ich den Verdacht, dass die Figur "Manon", diese mutige Verführerin, Männerfresserin, mithilfe ausgeklügelster Requisiten eine ganz andere Person maskierte. Ein einfaches Mädchen nämlich, unscheinbar, unkokett und sehr, sehr ernsthaft, vor allem von der Mutter gezeichnet, lebenslang schwer verwundet, seelisch invalid. (..) Die spätere Erschaffung der sogenannten Kunstfigur "Manon" war reine Überlebensstrategie. Heute, im Rückblick, kann ich das erkennen"

Ähnliche Worte zum Vater: ".. die vergebliche Sehnsucht danach, wahrgenommen zu werden (..) Die immer wiederkehrende Enttäuschung über seine Interessenlosigkeit an mir als Tochter, später als Person, noch später als Künstlerin. Sobald Probleme auftauchten, wurde ich entfernt (..) und dann mit 17 Jahren dann für lange Monate in eine Psychiatrische Klinik."

Ihre unaffektierte Fähigkeit, im eigenen Leben genauer hinzuschauen, auch beim grossen Thema Sucht, waren es Medikamenten-Cocktails oder harte Drogen. Manon brauchte schliesslich sieben Jahre für den Entzug.

"Heute bin ich von schlechten Gefühlen frei. Dies gibt mir einen Frieden, der mir jahrelang gefehlt hatte."

Etwas sehr tiefgründiges und archetypisches zeigt dieses Zitat von Manon über die weiblichen Fallstricke der Liebe:

"Früher hat mich meine Unrast die Geliebten wechseln lassen, in rascher Folge. Jeder Mann, der etwas Ungewöhnliches an sich hatte und mir deshalb gefiel, wollte erobert sein." ( .. ) "Heute weiss ich, dass dies eine Form der Depressionsbewältigung war, denn solange diese Spannung anhielt, war kein Platz für anderes, Ängste und Depressionen blieben fern. Diese zahllosen Affären und immer wieder neuen Verliebtheiten waren nichts anderes als ein Versuch in Selbsttherapie, nicht anders als eine Droge."

Ganz bestimmt behält Manon dabei auch Geheimnisse für sich, es ist nicht anzunehmen, dass sie mit diesem Text alle Höhen und Tiefen des Alterns ausloten wollte, mit feministischem Massstab. Sie wurde übrigens schon früh bei Alice Schwarzer portraitiert, und landete im November 1984 auf dem Titelblatt des Hefts: "Warum Emma 6 Jahre nach dem Stern-Prozess Busen zeigt".

Heute äusserst Manon sich zum Thema: "Apropos Gender-Studies: Dieses Fach würde ich liebend gerne (weiter-)studieren. Die Uni Zürich bietet es nicht an, lediglich Freiburg und Genf sind so weit. Das ist mein Fach. Mein Thema."

Zum Schluss sei noch erwähnt: auffallend auch ihre Affinität zu Tieren im und ums Haus: "Plötzlich diese Erinnerung an ein Taubenpaar, wohnhaft hinter einem Fensterladen meiner früheren Altstadtwohnung, einem umfunktionierten Estrich. Das tägliche Gurren habe ich noch im Ohr, es war ein ungemein erotischer Klang. Eines Tages legt mir meine Siamesin den Täuberich tot vor die Füsse".

Veit F. Stauffer, im Oktober 2020