Rio Reiser
Himmel & Hölle
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Bereits die späten Ton Steine Scherben der frühen 80er Jahre machten ihren Flirt mit dem "Schlager", nicht erst als Rio Reiser (1950-96) zum "bösen" Konzern Sony wechselte, um humorvolle Kapitalismus-Persiflagen ("Geld", "Manager") und tief ergreifende Balladen ("Zauberland", "Stiller Raum") einzuspielen, die nicht alle durch kitschige Keyboards oder sterile Drumbox ruiniert wurden. Rio Reiser hatte eine verschwenderische Fülle an kreativen Gaben (phasenweise inspirierenden Komponenten wie Alkohol oder jugendlichen Liebhabern nicht abgeneigt), um ein Spektrum zwischen radikaler Agitation ("Macht kaputt, was euch kaputt macht") und Kraft spendender Poesie abzuliefern. Besonders eindrücklich auf seinem weit unterschätzten letzten Album "Himmel & Hölle", mit Abstand sein wichtigstes Werk unter eigenem Namen. Allein das erste Stück "Irrlicht" schleudert uns dermassen fiebrige Wortfetzen entgegen, dass noch kommende Generationen im Deutschunterricht daran zu nagen haben. Wer wissen will, warum Rio Reiser bereits mit 46 Jahren starb, erfährt allerhand in "Gefahr", seine sarkastische Ohrfeige auf die ideale Zweierbeziehung. Tief unter die Haut geht auch die aufwühlende "Hoffnung": der erschöpfte "König von Deutschland" gibt da buchstäblich die Krone ab. Das ganze Album ist durchtränkt von einer Dringlichkeit und Authentizität, die angesichts des baldigen Todes von Rio Reiser wie Zündstoff wirkt, durchdrungen von feuchten Tränen. Mein Kollege Bänz Friedli brachte es im Magazin Facts auf den Punkt: "Erst wer hört, mit welcher Liebe er Politik machte versteht, wie politisch seine Liebeslieder sind" (Dezember 2006)