Frühlings-Blues
News vom 16. April 2019
Liebe Leute,
ein April-Blues hat mich in Lethargie versetzt und deutlich langsamer werden lassen. Ich fand keine Kraft mehr, Neuheiten vorzustellen, beschloss jetzt aber kurzfristig, Lieblingsmusik im Bereich "Melancholie" an Ostern frisch auszuleuchten. Vermutlich mindestens eine Perle kennt ihr vielleicht noch nicht? Die Melancholie transportiert mehrere Nuancen der Emotion: von bittersüss bis halbmondklar. Und trägt uns unerwartet über schwierige Lebensphasen hinweg. "My heart goes out" an die Angehörigen von Karl Löwenherz, Jürg Willi, Wuzz, Mark Hollis und Scott Walker…
Zuerst jetzt aber Frühlingsurlaub von Dienstag 23. April bis Samstag 4. Mai.
Gründonnerstag bis 18h offen, Ostersamstag von 11h-16h00
Eine schöne Doris Stauffer- Retrospektive genannt "Je peux faire disparaître un lion" hat Claire Hoffmann in Frankreich eigerichtet. Die Ausstellung in Paris dauert vom 31.03.2019–12.05.2019 Centre Culturel Suisse, 38 rue des Francs-Bourgeois, 75003 Paris
Aktuelle News dann wieder in vier Wochen.
Danke & Gruss, Veit
David Axelrod
DAVID AXELROD is gone .... 1933-2017 .... schillernde Figur der
Populärmusik mit unverwechselbar orchestralem Sound ... prägte unsere
Jugendkultur: vom Soundtrack EASY RIDER (with ELECTRIC PRUNES) bis zur
atemlosen Sampling-Szene der Gegenwart. Zwei Highlights an Lager: "The
Pride" (1970) und "Song Of Innocence" (1968)
Francoiz Breut
Das zweite Album der jungen Französin FRANCOIZ BREUT verzaubert ebenso
wie das überraschende Debut von 1997. Der elegante Sprechgesang erinnert
manchmal an Francoise Hardy oder Brigitte Fontaine, ist adoleszent
& abgeklärt zugleich, aber niemals aufdringlich lasziv wie diese
zahlreichen Trip Hop-Guetzli. Koryphäen wie KATERINE, DOMINIQUE A., YANN
TIERSEN und JOEY BURNS (Calexico) haben kompetent instrumentiert, bei
der Hälfte der Tracks wurde gar das BUDAPEST SYMPHONY ORCHESTRA
beigezogen. Moderne Chansons, selbstbewusst und melancholisch, fesselnd
wie Tindersticks oder Jay Jay Johanson.
Tim Buckley
Das phänomenale Konzertdebut in Europa des 21-jährigen TIM BUCKLEY in
der «Queen Elizabeth Hall» in London am 7. Oktober 68 (die
amerikanischen Editors haben das Datum fälschlicherweise als 10.7.68
interpretiert & dies immer noch nicht bemerkt). Damals in
hervorragender Qualität aufgenommen, wurde das Band erst Jahre später
entdeckt und im Juni 90 erstmals veröffentlicht. Mit einem gutgelaunten
& kommunikativen TIM BUCKLEY (Vocals & 12-String Guitar) in
Höchstform, präsentierend eine eindrückliche Performance seiner Alben
«Goodbye & Hello» und «Happy Sad». Begleitet von LEE UNDERWOOD
(Guitar), DAVID FRIEDMAN (Vibraphone) - sowie DANNY THOMPSON (Bass),
kurzfristig engagiert. Mit kompetenten Linernotes von LEE UNDERWOOD,
enthaltend die vielzitierte Passage: «Over the course of his
evolutionary career, and perhaps especially during his LORCA/STARSAILOR
period, he did for the voice what HENDRIX did for the guitar, what CECIL
TAYLOR did for the piano and what JOHN COLTRANE did for the saxophone:
he soared into glorious freedom, taking his music where no other
improvisational vocalist has ever gone before - or since». «Dream
Letter» kommt nun erstmals zum Midprice in schmaler Jewel-Box. Gehört
auf jeden Gabentisch.
Karen Dalton
Es geschieht nicht alle Tage, dass ein Reissue eintrifft, auf dem mein
Name verdankt ist, während NICK CAVE und DEVANDRA BANHART die Linernotes
schreiben durften. Letzten Frühling hatte ich dem US-Label "Light In
The Attic" meine für 125.- Dollar auf Ebay ersteigerte KAREN
DALTON-Single "Something On Your Mind" (1971, France only) kopiert und
übermittelt. Das zweite Album der sagenumwobenen Sängerin heisst "In My
Own Time". Psychedelic Folk meets Country and Soul. Das liebevolle
Booklet enthält zahlreiche Kommentare & unveröffentlichte Fotos. Mit
speziellem Gruss an Fritz Michel (Rifferswil), der mich 1997 durch eine
Radio LORA-Sendung erstmals auf diese herzzerreissende Stimme
aufmerksam gemacht hat.
Doomenfels
Ein sehr spezielles Zürcher Mundart-Album mit Langzeitwirkung, welches
auf Samtpfoten unprätentiös an die unbekannteren Texte von TAXI und
TABBIS NUKKERLI (beide 1977) erinnert. Eigenwillig arrangierte Songs, in
der sehr interessanten Besetzung Drums (Vincent Glanzmann), Bass (Lukas
Müller), Keyboards / Wurlitzer (Jonas Zollinger) - plus Gesang und
akustische Gitarre von DOMINIC OPPLIGER. Eine gesunde Portion wolkige
Introvertiertheit im Stil von Timber Timbre oder Legendary Pink Dots,
aber auch repetitive Soundmuster à la Stereolab oder Tortoise - ein
grosser Wurf des aufstrebenden Basler Labels "A Tree In A Field
Records".
Alela Diane
"The Pirate's Gospel" , 2004 erstmals in kleiner Auflage veröffentlicht,
ist 2007 dank europäischer Lizenz die neuste Entdeckung am "Female
Vocals"-Himmel, ein unheimlich schönes Album in der Tradition von Cat
Power, Joanna Newsom, Coco Rosie! Auch Michael Hurley ist ein Fan! Die
24-jährige Sängerin aus Nevada City/California wird diese Woche in Genf
und Düdingen auftreten. (Dezember 2007) *** Im Oktober 2018 erschien das
Werk in Deluxe-Ausgabe auf 2CD und 2LP mit Bonustracks.
Ein unverwüstlicher Klassiker der Berner Mundart, von "Fata Morgana Records" 1982 erstmals veröffentlicht. Ein echtes Original und versierter Bluesman: CHLOISU FRIEDLI (1949-81), auch 2019 eine Entdeckung wert. Das Vinyl ist schwer gesucht.
Joan As A Police Woman
JOAN AS POLICE WOMAN. Neun Jahre nach dem tragischen Tod ihres
Lebensgefährten Jeff Buckley hat die grossartige 36-jährige Musikerin
JOAN WASSER mit "Real Life" endlich auch ein eigenes Songalbum gewagt.
Als Geigerin, Gitarristin & Keyboarderin entdeckte man sie bereits
bei Lou Reed, Sheryl Crow, Antony, Elysian Fields, Joseph Arthur und vor
allem in der aktuellen Tourband von Rufus Wainwright. Mit der Bassistin
Rainy Orteca & dem Drummer Ben Perowsky bildet sie das Trio mit dem
abstrusen Namen JOAN AS POLICE WOMAN (weil Joan eine Weile sehr blond
gefärbte Haare hatte, stellten Freunde eine Aehnlichkeit mit der
Schauspielerin Angie Dickinson aus der Serie "Police Women" fest:-).
Nicht nur Drummer Ben Perowsky, auch Gastmusiker wie Doug Wieselman,
Steven Bernstein & Briggan Kraus entstammen der New York
Downtown-Szene. Joan Wasser besitzt wie Patti Smith oder PJ Harvey eine
"unkonventionelle Schönheit", die auf jedem Foto wieder eine andere
Identität anzunehmen scheint. Ihr Album ist sehr berührend: zarte und
sparsam instrumentierte Songs liegen in der androgynen Tradition von
Coco Rosie, Cat Power, Antony & Joseph Arthur (letztere zwei sind
auch mit Backing Vocals vertreten), entwickeln aber trotzdem einen
unwiderstehlichen Drive. Wir werden in den nächsten Jahren bestimmt noch
viel von Joan hören.
Danny Sugarmen
Eines der besten und authentischten Bücher über Rockmusik. Mit 12 Jahren
kommt DANNY SUGERMEN (11. Okt 1954 – 5. Jan 2005) in Los Angeles per
Zufall in Kontakt mit JIM MORRISON & THE DOORS und sein Leben ändert
sich schlagartig .. Ein Bericht aus dem Inneren, über den Mythos DOORS
und den Koloss Alkohol / Drogensucht. Nach MORRISON’s Tod versucht er
IGGY POP zu managen, verfällt selbst dem Heroin und findet nach
haarsträubenden Erlebnissen schliesslich den Ausgang .. Heilsam für
alle, die der „schwarzen Romantik“ verfallen sind ..
Scott Walker
Miteinander verwandt: die Melancholie und der Tod
Eine Homage an SCOTT WALKER (1943-2019)
Im
Frühling 1978 war ich hoffnungslos in eine gleichaltrige Kunststudentin
aus Düsseldorf verliebt. Rund um diese Leidenschaft besänftigte mich im
Schlafzimmer eine ganz bestimmte Platte: die Compilation "Make It Easy
On Yourself" der WALKER BROTHERS (gefunden auf dem Gratis-Stapel, im BRO
Records an der Badenerstr. 79). +++ Kurz zuvor kaufte ich auf dem
Flohmarkt einen Plastikplattenspieler aus den 60er Jahren, die Nadel in
desolatem Zustand, damit ich auch gleich nach dem Erwachen Musik hören
konnte. Zuerst widerwillig, aber regelmässig hörte ich mir diesen
köstlichen Oberschmalz an. Besonders angetan war ich von den kitschigen
Balladen "In My Room", "Just For A Thrill" und "Genevieve". Das
Uptempo-Lied "Dancing In The Streets" hörte ich fast zeitgleich auf
einer RESIDENTS-Platte als böse, wohltuenden Parodie. (Völlig zu
Unrecht, wie ich Snob später herausfand, stellte ich die Walker Brothers
in eine Ecke mit Heino oder James Last.) +++ Erst im Frühling 1987, als
eine wichtige Beziehung nach vier Jahren in die Brüche ging, entdeckte
ich dank den auserwählten Coverversionen von MARC ALMOND die kultivierte
Schönheit von SCOTT WALKER und JACQUES BREL. +++ Das Jahr 1978 hat mich
auf beide Giganten vorbereitet: im April 78 den Wurzeln begegnet von
Scott Walker mit seinen 1965-68 höchst erfolgreichen WALKER BROTHERS.
+++ Und am Dienstag 10. Oktober 78, auf dem mit Herbstsonne verzauberten
Marktplatz Oerlikon, las ich auf der Frontseite des Tages Anzeigers die
Todesmeldung von Jacques Brel. +++ Hört nun ein Stück von SCOTT, 1967:
seine grossartige Stimme und diese einzigartigen String-Arrangements...
Elf Jahre nach «Climate Of Hunter» ein weiteres Meisterwerk vom ehemaligen Teenager-Idol der 60er Jahre. Wie ein gefallener Engel entwirft Walker düstere Visionen, die ins nächste Jahrzehnt hinweisen könnten. Ein abstrakteres/vergeistigteres Songwriter-Album ist mir nicht bekannt. Sehr anspruchsvoll, das pure Gegenteil von ‘Easy Listening’. Walker evoziert eine neue, vermeintlich pompöse Klangästhetik, die noch kommende Generationen beschäftigen wird.
Robert Wyatt
Der Schlagzeuger, Sänger & Keyboarder ROBERT WYATT, seit 1973
gelähmt im Rollstuhl, hat immer ungewollt zeitlose Musik produziert, uns
mit seiner traurigen Stimme in zutiefst euphorisierende Momente
hinaufgetragen, zuweilen in Interviews Kommentare zur Vergangenheit
radikal verweigert, weil er lieber über linke Politik sprechen wollte,
oder welche Musik er zuhause auf seinem Radio-Weltempfänger soeben
entdeckt hat. «Shleep» wird zurecht bereits mit «Rock Bottom» (74)
verglichen, seinem ersten Album nach dem Unfall, weil sich WYATT
erfolgreich aus der selbstgewählten Isolation befreit & nach langer
Pause wieder Impulse setzende Gastmusiker/innen eingeladen hat: BRIAN
ENO, EVAN PARKER, PAUL WELLER, ANNIE WHITEHEAD, PHIL MANZANERA, CHUCO
MERCHAN, GARY AZUKX, PHILIP CATHERINE u.a. Ein Album, das uns garantiert
noch mehrere Monate intensiv beschäftigen wird.
Ich sah den eindrücklichen neuen Jarmusch-Film wenige Stunden nachdem ich telefonisch über den plötzlichen Tod meines Mitarbeiters Mathias Schellenberg unterrichtet wurde, mit dem Wissen, welche Bedeutung NEIL YOUNG zeitlebens für ihn gespielt hat. Sein friedlicher Herzstillstand im Schlaf beschäftigte mich während der ganzen Vorführung, die uns zunehmend dem Grenzbereich-Zustand des ‘Hinübergleitens’ heranführte. Die grossartige Filmmusik von NEIL YOUNG (an- und abschwellende Gitarren-Feedbacks u.a.) verstärkte noch den nachhaltigen Eindruck dieses Filmes, der - absolut unverständlich - soviel schlechte Kritiken einheimste. Meiner Meinung nach ist "Dead Man" - auf einen kurzen Nenner gebracht - schlicht eine geniale Persiflage auf das Wild-West-Genre.
Nachdem das Vinyl im Original rasch auf rund 150.- Euro kletterte, wurde es am 12. April 2019 endlich wiederveröffentlicht.